: Dietmar Pieper
: Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben
: Piper Verlag
: 9783492603263
: 1
: CHF 21.80
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: Neuzeit bis 1918
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der deutsche Kolonialismus entstand im Zusammenspiel von Kaufleuten, Bankiers und Reedern, für die der außereuropäische Handel seit Langem eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen war. Gerade Hamburg und Bremen spielten eine bedeutende Rolle: Ohne die hanseatischen Unternehmer hätte es die deutschen Kolonien nicht gegeben, erst auf ihr Drängen reagierte die Politik. Die Deutschen in Afrika waren berüchtigt für ihre Prügelstrafen, Zwangsarbeit war unter ihrem Regime die Regel. Dietmar Pieper beleuchtet ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.

Dietmar Pieper, Jahrgang 1963, studierte Germanistik, Komparatistik und Philosophie und hat sich in fast 33 Jahren beim Spiegel mit historischen Themen beschäftigt, u. a. als Redaktionsleiter der Heftreihe Spiegel Geschichte.

Einleitung:
Deutschland und der Kolonialismus


»Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.«

Karl Kraus,Die Fackel (1909)

 

Lange bevor die Deutschen ein eigenes Kolonialreich gründeten, hatten sie sich an den Kolonialismus gewöhnt. Sie nannten ihn nicht so, sie brauchten überhaupt kein Wort dafür, denn es war eine schleichende Gewöhnung, die vor mehr als 300 Jahren anfing und ihren Alltag für immer veränderte – erst in der Küche oder bei geselligen Zusammenkünften, dann in ihren Kleiderschränken und Kommoden und schließlich überall. Der Kolonialismus kam langsam und freundlich zu den Deutschen; das Neue war angenehm wie weich fließende Baumwolle, es stammte von weither und war doch bald vertraut, sogar unentbehrlich. Welchen Grund hätte es geben sollen, etwas davon abzulehnen?

Zucker und Kaffee, Tee und Kakao, Tabak und Baumwolle fanden einen Platz im Leben der Menschen, als hätten sie immer dazugehört. Was gestern noch selten und kostbar oder völlig unbekannt war, erschien auf einmal schon als Selbstverständlichkeit.

Es dauerte nicht allzu lange, dann folgten Kokos- und Palmöl, Gummi und Kautschuk als Rohstoffe für Fabriken, in denen Seife, Kerzen, Margarine, Bratfett, Süßigkeiten, Klebstoff, Kämme oder Reifen hergestellt wurden. Nicht viel anders als heute gehorchte die Ökonomie kolonialer Produkte zumeist den Regeln von Angebot und Nachfrage: Kaufleute aus traditionsreichen Handelsstädten, allen voran Hamburg und Bremen, sorgten dafür, dass ihre Ware auf möglichst effiziente Weise nach Deutschland gelangte. Gerade unter den Hanseaten verstand es eine Händlergeneration nach der anderen, aus dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Gefälle zwischen Europa und den übrigen Kontinenten ihren Nutzen zu ziehen, so wie sie den Gezeitenstrom nutzten, der ihre Schiffe die Flüsse hinab zum Meer trug.

Aus dieser Beobachtung leitet sich die These ab, die dem Buch zugrunde liegt und im Folgenden erläutert und belegt werden soll: Die deutsche Kolonialgeschichte wurde in erster Linie – und viel stärker als bisher zusammenhängend beschrieben – von hanseatischen Unternehmern geprägt. Durch ihre Geschäfte wirkten sie intensiv auf das alltägliche Leben ein, sie beeinflussten politische Entscheidungen und gründeten schließlich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die ersten Kolonien des Deutschen Reichs.

Manche der Unternehmer stiegen aus kleinen Anfängen zu Beherrschern weltumspannender Handelsimperien auf. Der Reichtum fiel ihnen nicht in den Schoß, denn die Konkurrenz war groß und das Geschäft steckte voller Unwägbarkeiten. Aber sie alle nutzten die Tatsache aus, dass Menschen in weit entfernten Ländern für wenig oder gar kein Geld ihre Arbeitskraft hergeben mussten. In jeder Warenlieferung, die nach Europa verladen wurde, gingen der Schweiß, die Tränen und das Blut der Namenlosen mit auf die Reise. Doch davon blieb nach dem Ausladen, Weiterverarbeiten und Verkaufen scheinbar nichts mehr übrig. Am Ende der Lieferkette sah alles blitzblank aus.

Häufig verdienten die Händler auch an Geschäften in umgekehrter Richtung, durch den Export deutscher Erzeugnisse in die Kolonialgebiete – beliebt waren Textilien, Waffen, Schießpulver, Bier, scharfer Alkohol. Der Reichtum Schlesiens und Westfalens im 18. Jahrhundert beruhte zu einem großen Teil darauf, dass hanseatische Firmen die von den dortigen Webern hergestellten Leinenballen nach Südamerika und in die Karibik verschifften, wo aus dem Tuch billige Kleidung für die Frauen und Männer geschneidert wurde, die als Versklavte auf den Plantagen schufteten. Unter den portugiesischen, spanischen, englischen und anderen Sklavenhaltern hatten die robusten »Sletias« und »Osnabrughs« einen ausgezeichneten Ruf.

Aber rechtfertigt es tatsächlich die Bezeichnung Kolonialismus, wenn ein Hamburger Kaufmann im Jahr 1770 bei seinem Geschäftspartner in Breslau eine Ladung Leinen bestellte, um sie in Havanna gewinnbringend an einen Plantagenbesitzer zu verkaufen? In diesem Buch wird die Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Es wäre viel zu kurz gedacht, wollte man den Begriff des Kolonialismus so stark einschränken, dass er nur den direkten Austausch zwischen Kolonialmacht und Kolonie umfasst. In der langen Epoche der europäischen Vorherrschaft über die Erde hatte die Dominanz viele Gesichter. Der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel sieht im Kolonialismus darum ein »Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit«, das sich einer scharf umrissenen Definition entzieht.[1] In den folgenden Kapiteln wird das »Phänomen« von vielen Seiten beleuchtet, sodass seine Konturen hoffentlich deutlich hervortreten.

Mehrmals stehen einzelne Personen im Mittelpunkt. Liegt darin nicht eine unzulässige Vereinfachung? Sie ist jedenfalls nicht beabsichtigt. Menschen und ihre Handlungen können ähnlich vielschichtig sein wie die Strukturen, in denen sie sich bewegen und die sie mitgestalten. Und vermutlich lassen sich komplexe Ereignisse leichter erfassen, wenn ihre Darstellung dem roten Faden einer biografischen Erzählung folgt. Der sorgfältige Blick auf historische Vorgänge, ihre Hintergründe und Folgen ist in jedem Fall das wichtigste Anliegen, das hier verfolgt wird.

Dass der Kolonialismus bis heute nachwirkt, liegt auf der Hand; dieses Buch, das einen anderen Schwerpunkt hat, weist an manchen Stellen darauf hin. Um es mit einem Satz von William Faulkner zu sagen, dem Literaturnobelpreisträger aus demUS-amerikanischen Süden: »Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.« Debatten von anhaltender Aktualität, wie sie etwa um die Rückgabe von Kunstwerken aus kolonialen Kontexten geführt werden, machen dies genauso deutlich wie geplante, geforderte oder bereits vollzogene Umbenennungen von Straßen und Institutionen. Museen, die bis vor wenigen Jahren den Begriff Völkerkunde im Namen trugen, heißen heute anders. Eine veränderte Haltung den eigenen Exponaten gegenüber ist allerdings noch nicht überall erkennbar; einen verblüffenden Fall von Ignoranz kann man in München besichtigen (siehe dazu Kapitel 4).[2]

Was haben die Commerzbank, Douglas, Edeka, Unilever und Aurubis gemeinsam? Alle diese bekannten und international tätigen Unternehmen haben ihre Wurzeln im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts, vier von ihnen gehen auf Firmengründungen in Hamburg zurück. Und das fünfte, die 1898 alsEinkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin (E. d. K.) gegründete Handelskette, bezog einen wichtigen Teil des Sortiments über den Hamburger Hafen. Das Geschichtsbewusstsein der Unternehmen geht allerdings bei allem Stolz auf die weit zurückreichende Historie nicht so weit, diesen Teil der eigenen Vergangenheit auszuleuchten.

Als die Deutschen schließlich in den Kreis der Kolonialmächte eintraten, konnten sie dies nur tun, weil der Kolonialismus in ihrem Land bereits tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Auf dem Weg dorthin ging die Wirtschaft voran, begleitet vom Trommelschlag der Propagandisten, die von einem deutschen Imperium träumten. Dann erst trat der Staat in Aktion.

Es waren willensstarke Kaufleute aus Hamburg und Bremen, die das Land zur Kolonialherrschaft trieben. In Afrika fing es an: Durch Landerwerbungen und Verträge mit regionalen Anführern etablierten sie zunächst ihre eigenen Gebiete, deren Verwaltung sie dann dem Deutschen Reich zuschoben, das auch für den militärischen Schutz sorgte. So entstanden 1884 die damals »Schutzgebiete« genannten Territorien Deutsch-Südwestafrika und Kamerun, die ersten großen Besitzungen Deutschlands jenseits der europäischen Grenzen. Reichskanzler Otto von Bismarck, der staatliche Kolonien bis dahin abgelehnt hatte, war auf einmal der führende Kolonialherr der Nation. Wie es zu dieser spektakulären und für die Geschichte der deutschen Kolonialzeit entscheidenden Wendung kam, wird im vierten Kapitel so genau wie möglich nachgezeichnet.

Vom Fernhandel zur europäischen Expansion


Die koloniale Landnahme – meistens ein Raub, dem die Räuber mit einheimischer Hilfe einen legalen Anstrich gaben – hatte eine lange Vorgeschichte. Ohne den bis ins Mittelalter zurückreichenden Expansionsdrang der Europäer hätten die Deutschen niemals nach weit entfernten Territorien greifen können. Neben der Gewöhnung an den Kolonialismus im alltäglichen Umgang...