Lena
»Liebe ist eine Illusion, ein kurzlebiger Trugschluss, der dich irgendwann auf den nackten, kalten Boden der Tatsachen wirft. Es wird ein Glücksgefühl vorgetäuscht, das wie eine Seifenblase platzt. Nein, ich glaube nicht an die Liebe. Das, was wir hatten, waren kurzfristige gemeinsame Lustmomente, mehr nicht.«
Vincent war hier!
Ein Dolch fuhr mitten durch Lenas Körper. Zumindest fühlte es sich so an. Ihre Wangen begannen zu glühen, und das hatte nichts mit der Hitze des schwülen Julitages zu tun.
Fünfzehn Monate waren vergangen. Weshalb tat die Begegnung mit ihrem Ex immer noch so weh?
Wäre sie doch zu Hause geblieben!
Warum hatte sie sich bloß überreden lassen, hierherzukommen?
Lena müsse mal raus, hatte Paul betont.
Ihr Freund hatte sie förmlich dazu gedrängt, ihren Bruder und dessen Freundin zu begleiten. Fast beleidigt hatte er reagiert und hatte ihr vorgeworfen, sie würde ihm das Babysitten nicht zutrauen.
Tatsächlich hatten die Kinder geschlafen, als sie um acht Uhr das Haus verließ und sie hatte somit keine Ausrede mehr. Fast hatte sie sich schließlich doch ein bisschen gefreut. Und die Ausstellung der Malerin Karin von Stein schien vielversprechend zu sein.
Nun bereute Lena ihre Entscheidung. Aber hätte sie mit Vincents Anwesenheit rechnen müssen?
Ja, flüsterte es in ihr, schließlich hatte sie gewusst, dass die Künstlerin die Schwester von Vincents Verlobter war.
Hatte sich ihr Unterbewusstsein die Begegnung gewünscht?
Zwischen den zahlreichen Besuchern, die an Stehtischen Sekt tranken und intellektuelle Gespräche über Kunst führten, stach er deutlich hervor.
Aber vermutlich wäre ihr Vincent überall aufgefallen.
Im perfekt sitzenden grauen Anzug, hellem Hemd und passender Krawatte bot er das Bild des erfolgreichen Geschäftsmannes, der er ja auch war.
Hitze stieg in ihr auf, jedes Mal, wenn sie in seine Richtung blickte. Der Anblick war so vertraut. Er hatte sich nicht verändert.
Seine dunklen Haare waren modisch geschnitten und sie registrierte die widerspenstige Locke, die ihm immer noch in die Stirn fiel. Auch der gewisse Zug um den Mund war ihr gut bekannt, leicht amüsiert und selbstbewusst.
Hätten ihm nicht ein paar Haare ausfallen können? Eine Zahnlücke? Falten?
Ihr Herz schlug, nein hämmerte, als wollte es zum Hals heraus.
Kurz hatte sie das Gefühl, umzufallen. Es war das erste Mal seit diesem schrecklichen Tag, dass sie ihn wiedersah und ihr wurde übel. Doch nicht nur das.
Ihre Knie waren wie Pudding.
»Ich muss zur Toilette«, flüsterte sie Joe zu.
»Zu spät, während der Eröffnung sind die Toiletten geschlossen.« Er grinste über den vermeintlichen Witz, doch Lena hatte nun keinen Sinn für seine Späße.
»Es geht gleich los.« Celina sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.
Tatsächlich begann genau in diesem Augenblick die Musik zu spielen, ein Duo mit Gitarre und Keyboard.
Ob Vincent sie auch schon gesehen hatte?
Sie musste weg.
»Ich beeile mich.« Rasch drehte sie sich um und hastete davon.
Leider waren die Toiletten auf der anderen Seite des imposanten Raums. Und sie hatte nicht bedacht, dass sie, während sie sich durch die dicht gedrängte Menge kämpfte, erst recht Aufmerksamkeit auf sich zog.
Mit gesenktem Kopf erreichte sie endlich die rettende Tür, öffnete sie und hastete hindurch. Erleichtert atmete sie aus, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
Wie sollte sie hier wieder herauskommen?
Sie hätte nicht gedacht, dass es so wehtun würde, ihn wiederzusehen.
Der Mistkerl sah aus wie immer. Vermutlich hatte er keinen weiteren Gedanken an sie verschwendet, nachdem er ihr Herz zerrissen und in den Boden gestampft hatte.
Sollte sie es ihm jetzt und heute sagen, wie sehr er sie verletzt hatte? In ihrem Kopf entstand das Bild, wie sie zum Mikrofon trat und mit spitzem Finger auf ihn zeigte.
»Ich möchte nur kurz unterbrechen. Sehen Sie diesen Mann hier? Er hat mich schwanger sitzen gelassen, jeden Kontakt verweigert und sich stattdessen mit einer anderen Frau verlobt. Diese Dame ist übrigens auch hier, sie sitzt dort drüben