: Tad Williams
: Der Drachenbeinthron Das Geheimnis der Großen Schwerter 1
: Klett-Cotta
: 9783608101492
: Das Geheimnis der Großen Schwerter
: 2
: CHF 8.10
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: Fantasy
: German
: 976
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Dieses Werk hat mich inspiriert ?Game of Thrones? zu schreiben ... es ist eine meiner liebsten Fantasyreihen.« George R. R. Martin über »Das Geheimnis der großen Schwerter« Der betagte König Johan liegt im Sterben und um die Thronfolge entbrennt ein hinterhältiger Kampf zwischen seinen Söhnen Elias und Josua. Der Küchenjunge Simon, der wegen seiner Zerstreutheit auch Mondkalb genannt wird, gerät mitten in die Auseinandersetzungen um die Herrschaft über Osten Ard.

Tad Williams, geboren 1957 in Kalifornien, ist Bestseller-Autor und für seine epischen Fantasy- und Science-Fiction-Reihen, darunter Otherland, Shadowmarch, und Der letzte König von Osten Ard, bekannt. Seine Bücher, die Genres erschaffen und bisherige Genre-Grenzen gesprengt haben, wurden weltweit mehrere zehn Millionen Male verkauft.
1 Grashüpfer und König An diesem Tag aller Tage rührte sich etwas Fremdartiges tief im dämmernden Herzen des Hochhorstes, im verwirrenden Kaninchenbau der Burg mit ihren stillen Gängen und von Efeu überwucherten Höfen, in den Mönchszellen und den feuchten, schattendunklen Kammern. Höflinge und Dienerschaft, sie alle rissen die Augen auf und flüsterten, Küchenjungen tauschten über den Waschwannen bedeutungsvolle Blicke. In allen Gängen und Torhöfen der gewaltigen Feste schienen sich Menschen mit gedämpfter Stimme zu unterhalten. Der allgemeinen Stimmung atemloser Erwartung nach hätte es der erste Frühlingstag sein können, aber der große Kalender in Doktor Morgenes' vollgestopftem Zimmer zeigte etwas anderes: Man befand sich erst im Monat Novander. Der Herbst hielt die Tür auf, und langsam zog der Winter ein. Was diesen Tag von allen anderen unterschied, war nicht die Jahreszeit, sondern ein Ort: der Thronsaal auf dem Hochhorst. Drei lange Jahre waren seine Pforten auf Befehl des Königs geschlossen gewesen, die bunten Fenster von schweren Vorhängen verhüllt. Nicht einmal die mit der Hausreinigung betraute Dienerschaft hatte die Schwelle übertreten dürfen, was der Obersten Kammerfrau unendliche Qualen bereitet hatte. Drei Sommer und drei Winter war der Saal ungestört geblieben. Jetzt war hier wieder leben eingekehrt, und die ganze Burg summte von Gerüchten. Doch gab es einen Menschen im geschäftigen Hochhorst, einen zumindest, der nicht seine ganze Aufmerksamkeit auf jenen lange unbewohnten Raum gerichtet hatte, eine Biene im murmelnden Stock, deren einsames lied nicht zur Tonart des allgemeinen Gesumms passte. Dieser eine hockte im Herzen des Heckengartens in einer Nische zwischen dem stumpfroten Stein der Kapelle und der Flanke eines zum Skelett entlaubten Heckenlöwen und glaubte, niemand werde ihn vermissen. Der Tag war bisher recht unerfreulich verlaufen. Die Frauen steckten alle mitten in ihrer Arbeit und hatten wenig Zeit, Fragen zu beantworten, es hatte zu spät Frühstück gegeben, und kalt war es. Wie gewöhnlich hatte man ihm verwirrende Anordnungen erteilt, und niemand interessierte sich auch nur im Geringsten für seine Probleme ... Das war, dachte er mürrisch, ja auch nicht anders zu erwarten. Wenn er nicht diesen riesigen, prachtvollen Käfer entdeckt hätte - der da durch den Garten gekrochen war, selbstzufrieden wie ein reicher Dorfbewohner -, wäre der ganze Nachmittag eine einzige Zeitvergeudung gewesen. Mit einem Zweig verbreiterte er die winzige Straße, die er in die dunkle, kalte Erde an der Mauer gekratzt hatte, aber trotzdem wollte sein Gefangener nicht vorwärtslaufen. Vorsichtig kitzelte er den glänzenden Panzer, aber der dickköpfige Käfer rührte sich nicht. Der Junge runzelte die Stirn und sog an der Oberlippe. » Simon! Wo im Namen der heiligen Schöpfung hast du dich rumgetrieben!« Der Zweig fiel ihm aus den Fingern, als hätte ihm ein Pfeil das Herz durchbohrt. langsam drehte er sich zu der bedrohlichen Gestalt um, die hinter ihm aufragte. »Nirgendwo ...«, wollte Simon sagen, aber noch während das Wort dem Mund entfloh, packte ihn ein knochiges Fingerpaar am Ohr und zerrte ihn ruckartig auf die Füße. Vor Schmerz jaulte er auf. »Komm mir nicht mit ?nirgendwo?, junger Strolch«, bellte ihm Rachel der Drache, die Oberste der Kammerfrauen, mitten ins Gesicht, wobei sie nur auf gleicher Höhe mit ihm war, weil sie auf den Zehenspitzen stand und der Junge von Natur aus zu schlechter Haltung neigte; eigentlich fehlte Rachel fast ein Fuß zu Simons Größe. »Ja, Herrin, es tut mir leid, tut mir leid«, murmelte Simon und bemerkte betrübt, dass der Käfer auf einen Spalt in der Mauer der Kapelle und damit auf seine Freiheit zusteuerte. »Mit ?tut mir leid? kommst du auf die Dauer auch nicht durch«, knurrte Rachel. »Jedermann im ganzen Haus rackert sich ab, damit alles bereit ist, nur du nicht! Und als ob das nicht schlimm genug wäre, muss ich auch noch meine kostbare Zeit verschwenden, um dich zu suchen! Wie kannst du so ein unartiger Junge sein, Simon, wenn du dich doch längst wie ein Mann benehmen solltest? Wie kannst du nur?« Der Junge, vierzehn schlaksige Jahre alt und in peinlichster Verlegenheit, antwortete nicht. Rachel starrte ihn an. Traurig genug, dachte sie, dieses rote Haar und die Pickel, aber wenn er dann noch so nach oben schielt und verschämt das Gesicht verzieht, sieht er ja geradezu schwachsinnig aus! Simon starrte seinerseits zurück und sah, dass Rachel schwer atmete und kleine Dampfwölkchen in die Novanderluft pustete. Außerdem zitterte sie, wenn Simon auch nicht sagen konnte, ob vor Kälte oder vor Zorn. Es kam eigentlich auch nicht darauf an, so oder so machte es alles noch schlimmer für ihn. Sie wartet immer noch auf eine Antwort - wie müde und verärgert sie aussieht! Er ließ Kopf und Schultern noch deutlicher hängen und blickte verlegen auf die eigenen Füße. »Du kommst jetzt sofort mit. Der Gute Gott weiß, dass ich genug Arbeit habe, um einen faulen Burschen damit auf Trab zu halten. Weißt du nicht, dass der König vom Krankenbett aufgestanden und heute in seinen Thronsaal gegangen ist? Bist du denn taub und blind?« Sie packte ihn am Ellenbogen und schob ihn vor sich her durch den Garten. »Der König? König Johan?«, fragte Simon überrascht. »Nein, du dummer Junge, König Katzenkopf! Natürlich König Johan!« Rachel blieb auf dem Absatz stehen, um eine dünne Strähne schlaffes, stahlgraues Haar unter die Haube zurückzuschieben. Ihre Hand bebte. »So, hoffentlich bist du nun glücklich«, sagte sie endlich. »Du hast mich so durcheinandergebracht und aufgeregt, dass ich sogar respektlos mit dem Namen unseres guten alten Königs Johan umgesprungen bin. Und das, wo er so krank ist, und überhaupt.« Sie schniefte laut, beugte sich dann vor und versetzte Simon einen schmerzhaften Klaps auf den Oberarm. »Nun komm endlich.« Den Nichtsnutz im Schlepptau, stapfte sie voran durch den Garten. Simon hatte nie ein anderes Zuhause gekannt als die alterslose Burg mit dem Namen Hochhorst, was so viel bedeutete wie Hohe Feste. Sie trug den Namen zu Recht: Der Engelsturm, ihr höchster Punkt, ragte weit über die ältesten und höchsten Bäume hinaus. Hätte der Engel selbst, der auf der Turmspitze stand, einen Stein aus der grünspanigen Hand fallen lassen, wäre dieser Stein fast zweihundert Ellen in die Tiefe gestürzt,