DIE SPALTUNG DES BEWUSSTSEINS:
ABSTRAKT-KOGNITIV VERSUS EMPATHISCH
Die Architektur des Bewusstseins ist nicht nur vernachlässigt worden, sie hat sich vor allem dazu entwickelt, von dem Grundgedanken des Feindlichen beherrscht zu sein. Alle anderen Bewusstseinszustände werden deshalb als naiv eingestuft und sind für das Nachdenken, das darüber hinaus greift, wertlos. Feinddenken jedoch basiert auf den frühesten Verhaltensmustern, die ausgelöst werden, wenn ein Säugling von Reizüberflutungen überwältigt wird. Er muss sich dann von seiner Umwelt zurückziehen, kann seine existenzielle Menschlichkeit nicht aufbauen, ja, dies läuft darauf hinaus, dass er seine Menschlichkeit, lange bevor er sie hat, bereits wieder verliert.
Die großen Dichter haben dies schon immer gewusst. So sagte beispielsweise der amerikanische Dichter Gary Snyder:
»Es gibt einen Geisteszustand, der von dem rein ekstatischen unterschieden werden muss, in welchem die unmittelbarsten und persönlichsten Wahrnehmungen mit den archetypischen und rituellen Beziehungen der menschlichen Gesellschaft zum Weltall verschmelzen. Dichtung, die daraus gemacht ist, ist nicht ›automatisch‹, sie ist jedoch häufig mühelos, und sie schließt das Vergnügen eines gelegentlichen geistigen Einfallsreichtums und der Anspielungen nicht aus. Meine besten Gedichte fließen aus einem solchen Zustand …«157
Die Architektur des Bewusstseins, die aus einem solchen Zustand entsteht, basiert auf Annäherung und nicht auf Rückzug. Sie gründet auf Zuwendung zu anderen Menschen, auf einem unmittelbaren und weit verzweigten Gefühl für die Person und ihre Menschlichkeit, und eben nicht auf Rückzug und Feinddenken.
Viele Anthropologen haben das Denken und Fühlen von Völkern beschrieben, die von unserer Zivilisation unberührt bleiben konnten. Sie berücksichtigten jedoch die grundsätzlichen Unterschiede im Bewusstsein nicht, die durchaus vorkommen und die zum wachsenden oder verendenden Aufbau der Empathie führen. Diamond und Sorensen kommen dieser Erkenntnis als eine der wenigen nahe. Sorensen beobachtete auch den Zusammenprall der beiden Bewusstseinsformen – empathiefähig, nicht empathiefähig – und ihre Unvereinbarkeit.158
Auf der Basis seiner jahrelangen Studien beschreibt er das Bewusstsein der sogenannten Primitiven, also von Völkern, die von unserer Zivilisation unberührt sind. Annäherung, Hinwendung und ein integriertes Vertrauen sind die wichtigsten Säulen, worauf das Bewusstsein dieser Menschen aufbaut. Dies beginnt schon bei der Kinder- und Säuglingspflege, in der ein Kleinkind in andauerndem Körperkontakt mit der Mutter oder ihren Freunden bleibt. Die Babys reagieren auf diese empathisch-taktile Stimulation mit eigenen taktilen Antworten. Sie müssen nicht schreien oder wimmern, um mit ihrer Umwelt zu interagieren. Vielmehr entsteht auf diese Weise eine hochentwickelte präverbale Kommunikation, eine Art der Bewusstheit, wie wir sie gar nicht kennen.
Unter diesen Umständen tritt auch keine Geschwisterrivalität auf: »Wenn Nahrung, Komfort und Stimulation dauernd vorhanden sind, müssen die Kleinkinder nicht hilflos warten, bis ihre Bedürfnisse erfüllt werden,« so Sorenson dazu. Kein emotionales Bedürfnis, das sich für seine Befriedigung auf abstrakte Erwartungen der Eltern fokussieren muss, entwickelt sich. Das Bewusstsein, das sich hier entwickelt, unterscheidet sich von unserem verengten Zivilisationsbewusstsein ganz grundsätzlich. Abstrakte Erwartungen, die bei uns dafür sorgen, dass d