: Henri Bresson
: Vom Labyrinth bis zu den Sternen. Die Figur des Stiers in der neueren deutschsprachigen Literatur
: Diplomica Verlag GmbH
: 9783961464876
: 1
: CHF 22.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 114
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Rund um die Erde und heute noch in vielen spanischen und südfranzösischen Ortschaften wurde bzw. wird der Stier als heiliges weil die Sonne zwischen seinen Hörnern tragendes Tier verehrt, als Opfer geschlachtet und von den Glaubenden im gemeinsamen Festmahl der örtlichen feria verzehrt; von solchem Kult zeugen unzählige vorgeschichtliche Felszeichnungen, Wandmalereien und antike Statuen und Töpfe, die den oft eine Göttin oder eine Prinzessin wie Europa begleitenden Stier auch mit der Weltsäule oder dem Weltbaum als axis mundi darstellen, welcher heutzutage noch beim herbstlichen Almabtrieb im mitteleuropäischen Alpenraum den Leitstier bzw. die -kuh schmückt - aber auch millionenfach auf der Dose von einem weltberühmten Energie-Getränk und als übergroße Statue sowohl vor dem Europaparlament in Strasbourg als auch vor den mächtigsten Geldinstituten der Welt wie Wall Street oder die Frankfurter Börse hält ein Stier Wache als Gewähr für Fruchtbarkeit und Wohlstand, denn Vieh stammt bekanntlich aus dem idg. *peku, vgl. etwa lat. pecus, Herde und frz. pécuniaire, was mit Geld zu tun hat. Was davon im Kollektivbewusstsein sonst übrigbleibt, ist anscheinend erbärmlich wenig, und meistens entstellt, missdeutet, unverstanden, lächerlich gemacht, doch seit zwei Generationen haben einige deutschsprachige Dichter in hervorragenden Werken von ihrem regen und anregenden Interesse am Stier Zeugnis abgelegt. Da die echten Künstler von jeher wenn nicht über Hörner doch über Fühler verfügen, mit denen sie auch die feinsten Schwingungen ihrer Welt und Umwelt wahrnehmen und interpretieren, so wollen wir uns die Frage nach der Deutung und der Bedeutung des Stiers in unserem postmodernen, u.a. von den Cultural and literary animal studies geprägten Zeitalter stellen; auch deswegen haben wir Die Wand von Marlen HAUSHOFER (1968), Minotaurus von Friedrich DÜRRENMATT (1985), Stier von Ralf ROTHMANN (1991) und Das Einhorn und der Stier von Gudrun MÜSSE FLORIN (2015) unter die Lupe genommen.

Henri BRESSON, Doktorand der Germanistik, wurde 1944 in Südfrankreich geboren. Nach seiner akademischen Ausbildung an der Universität Caen und einer Abschlussarbeit über Das Geheimnis der Persönlichkeit in Mörikes Roman Maler Nolten lehrte er Deutsch in algerischen und französischen Gymnasien, ab 1986 und bis 2010 war er als Oberstudiendirektor in Saumur und im Elsass beruflich tätig. Beispiel (kann überschrieben werden): Martina Musterfrau, B.A., wurde 1985 in Musterstadt geboren. Ihr Studium der Sinologie an der Beispieluniversität Musterstadt schloss die Autorin im Jahre 2009 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen in der XY-Branche. Fasziniert von chinesischer Kultur und Sprache, verbrachte die Autorin mehr als ein Jahr in China, um die Besonderheiten des Landes kennenzulernen. Ihre Tätigkeit bei verschiedenen chinesischen Reiseveranstaltern motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
Textprobe: Einleitung: Der Stier - warum auch nicht? Es ist wahr, dass die dichterische Aussage etwas Zweideutiges an sich hat, genau wie die des Orakels. Aber eben darin liegt ihre hermeneutische Wahrheit. Wer darin eine ästhetische Unverbindlichkeit sieht, der der existenzielle Ernst fehle, verkennt offenbar, wie fundamental für die hermeneutische Welterfahrung die Endlichkeit des Menschen ist. Es ist nicht die Schwäche, sondern die Stärke des Orakels, dass es zweideutig ist. Ebenso zielt der ins Leere, der Hölderlin oder Rilke darauf prüfen will, ob sie an ihre Götter und Engel wirklich glauben. (Hans-Georg GADAMER, Wahrheit und Methode, 1960, S. 492) Mitten im Nordatlantik, seemeilenweit entfernt von den Säulen des Herakles zwischen Marokko und Spanien, die in der Antike mit der schroffen Anordnung nec plus ultra das Ende der Welt markierten, ragt eine spärliche Inselkette aus den ozeanischen Untiefen heraus: Eigentlich gehören aber die Azoren, Madeira, die Kanaren und Kapverden in ein fast vollständig überflutetes Gebirge, beinahe so groß wie ein Kontinent zwischen Europa und Amerika. Selbst wenn Vergleiche oft hinken, könnte man meinen, der Figur des Stiers ergehe es wie dem Mittelatlantischen Rücken: Man erblickt gleichsam nur noch seine Hörner, während sein übriger Körper heute beinahe unsichtbar geworden ist. Geworden: Denn es war nicht immer so, auch in deutschen Landen zumindest diesseits des limes, etwa in Kork, gerade elf Kilometer von Strasbourg entfernt, wo ein mächtiger, besonders behutsam großgezogener Stier noch 1476, knapp vier Jahrzehnte vor LUTHERS plakativer Aktion in Wittenberg, zugleich angebetet und von Schöffen wie von Druiden an der Welteiche rituell geopfert wurde, - denn beides, die Anbetung und das Opfer, gehört wohl zusammen wie Zahl und Kopf zu einer Münze, man braucht nur auf alle Propheten hinzuweisen, Jesus inklusive, die eben darum ermordet wurden, weil sie Heilige waren und wie der Riese Atlas die Welt auf ihren Schultern trugen: Es hieß, dass sie nur durch ihren Tod als den Tod der alten Welt ein neues Jahr, eine neue Ernte, eine neue Generation, ein neues Zeitalter zu eröffnen bzw. einzuweihen vermochten. Rund um die Erde und heute noch in vielen spanischen und südfranzösischen Ortschaften wurde bzw. wird der Stier als heiliges weil die Welt auf seinen Hörnern oder seinem Rücken erhaltendes Tier verehrt, als Opfer geschlachtet und von den Glaubenden im gemeinsamen Festmahl der örtlichen feria verzehrt; von solchem Kult zeug