: Ka?ka Bryla
: mein vater, der gulag, die krähe und ich
: Residenz Verlag
: 9783701747542
: 1
: CHF 17.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mutig, zärtlich und schonungslos erzählt Ka?ka Brylas Roman vom Kampf ums Überleben unter widrigen Bedingungen. Der Sommer 2020 ist heiß und schön, und doch herr­schen u?berall Angst und Verunsicherung - auch auf dem Wagenplatz, wo die Autorin wohnt und mit einem schweren Krankheitsverlauf kämpft. Kraft geben ihr die inneren Gespräche mit dem Vater, der als Mitglied der polnischen Untergrundarmee im Gulag interniert war. Seine Widerständigkeit hat sie geprägt. Ihr eigener Kampf um ein selbstbestimmtes Leben als queere Frau ist ähnlich und doch ganz an­ders. Kraft gibt ihr aber auch das gestrandete Krähenbaby Karl, fu?r das sie sorgt, solange es nicht fliegen kann. Liebevoll, lakonisch und manchmal surreal ver­flicht Ka?ka Bryla Aufnahmen der Gespräche mit dem Vater, Fieberträume und Einsamkeit. Dieses außer­gewöhnliche Buch erinnert uns daran, was es bedeutet, Versprechen zu halten.

zwischen Wien und Warschau aufgewachsen. Studium der Volks­wirtschaft in Wien, Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie 2015 die Literatur­zeitschrift und das Autor*in­nennetzwerk 'PS - Politisch Schreiben' mitbegru?ndet. Sie war Redakteurin des Monatsmagazins 'an.schläge' und erhielt bislang zahlreiche Stipendien und Preise. 2023 wurde ihr Theaterstu?ck 'Im Herzen der Krähen' uraufgefu?hrt. 2020 erschien ihr Debu?troman 'Roter Affe', 2022 der Roman 'Die Eistaucher'. 2024 hat Ka?ka Bryla auf Einladung von Brigitte Schwens-­Harrant in Klagenfurt beim Ingeborg­-Bachmann-­Preis einen Auszug aus 'Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich' gelesen.

Zweiter Teil


An der Offiziersschule wurden in erster Linie Jungen und Mädchen für die Untergrundarbeit ausgebildet. In geheimen Klassen hatten sie Fächer wie Straßenkampf, Sabotage und Diversion. Sie erlernten den Umgang mit Waffen, Werkzeugen und Sprengstoff, wurden in der Psychologie des Terrors unterwiesen, in der Führung von Massen und in Methoden, die Moral der Deutschen zu untergraben.

JanKarski,MeinBerichtandieWelt

Karl wartet, dass sein Flügel heilt, und manche Geschichten erzählen sich wie von selbst zu Ende, ich muss nur die Geduld aufbringen und ebenfalls warten, wenn alles wegbricht, sind Geduld und Warten die Eigenschaften, auf die jedes Lebewesen zurückfällt, so wie Estha darauf wartet, in zwei Tagen mit Frau und Hund auf Urlaub zu fahren, Süße, ich brauche eine Pause von all dem, das hat sie gesagt und damit auch mich und meine Krankheit gemeint, und als ich schwieg, fügte sie noch ein sei mir nicht böse hinzu, als hätte ich eine Wahl, und du wartest in deinem Grab darauf, dass ich dich verewige, aber ich träume von einem Leben mit Karl im Dschungel, wo uns niemand behelligt. Nicht nur Estha ist auf Urlaub, auch hier sind nahezu alle plötzlich weg, wie durch einen Autofriedhof laufe ich über den Platz, Karl hüpft hinter mir her, vielleicht empfindet auch er die Leere als befremdlich, jetzt gibt es nur noch mich als Puffer gegen die Katze.

Es brauche eine geschichtliche Timeline, schrieb Estha noch vor dem Urlaub in eine Mail, die sich liest wie ein letzter Liebesbrief, sonst würde ich mich bald selbst nicht mehr auskennen, geschweige denn meine Leser*innen oder wer auch immer, das Wer-auch-immer steht feindselig am Ende der Mail, aber noch vor dem Liebe Grüße, ich lasse mich von dem Ton nicht aus der Ruhe bringen und konzentriere mich auf den Inhalt, wie es einer in jeder anständigen Verhaltenstherapie beigebracht wird, sortiere ich aus meinen Notizen die relevanten Fakten und fasse zusammen: In Galizien lebten kurz vor dem Ersten Weltkrieg 4672500 (58,22%) Pol*innen, 3208092 (39,97%) Ukrainer*innen und ein paar Deutsche, wovon 3732569 (46,51%) römisch-katholisch, 3379613 (42,11%) griechisch-katholisch, 33209 (0,41%) evangelisch und 871895 (10,86%) jüdisch waren. Und schon stocke ich.Warum stockst du? Weil sich jüdisch nicht mit römischkatholisch aneinanderreihen lässt.Warum nicht? Weiß ich auch nicht, es fühlt sich falsch an. Du stehst auf und holst dir eine Zigarette aus meiner Schreibtischschublade. Hör mal, sage ich und lese dir ein Zitat aus dem Galizien-Buch vor: Mit der Herstellung der polnischen Autonomie in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre bekannten sich nun auch die meisten emanzipierten Juden, immer noch eine verschwindende Minderheit, als Polen.Warum interessiert dich ausgerechnet dieser Abschnitt, es scheint mir bedeutsam, antworte ich,weil es um die Juden geht, weil sie eine Minderheit waren, weil für mich die Minderheiten immer bedeutsam sind, weil erst der Umgang mit Minderheiten etwas über eine Demokratie aussagt, weil ich selbst immer zu einer Minderheit gehören werde,du bist Polin, ich bin Lesbe, widerspreche ich, obwohl es kein Widerspruch ist, und sage, dass du das nicht verstehen kannst und dass ich weiter an meinen Notizen arbeiten wolle, weil ich sonst unsere Gespräche