: Jan Völker
: Ein Weltall des Kapitals Die Überwindung der terrestrischen Vernunft
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751830447
: 1
: CHF 11.70
:
: Natur und Gesellschaft: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach langer Stille um die staatlichen Raumfahrtprogramme erlebt die Weltraumfahrt eine Renaissance unter dem Vorzeichen der Privatisierung. Touristen werden ins All befördert, Pläne zum Bergbau auf Asteroiden ins Auge gefasst, neue Stätten der Menschheit gesucht - so beginnt die Kolonisation des Weltalls. Einher geht damit die Verfertigung eines neuen Menschenbildes, in dem die Realität vollkommen störungsfrei mit der Imagination übereinkommen soll. Ein Bild, wie Jan Völker anekdotenreich, zugleich mit bestechender Stringenz darlegt, aus dem das Unbewusste ausgeschieden ist. Es trachtet nicht nur danach, die Grenzen der mit Kant begründeten Vernunft zu überwinden, sondern auch das von den Apollo-Missionen geschaffene Bild der Erde, das diese als Umwelt des Menschen zeigte und zur Sorge um den Planeten drängte. Im Blick des Kapitals erweist sich die Erde so nur noch als ein zukünftig verlassener Ort, als Ausgangspunkt für eine neue Wirklichkeit des Menschen - der kommenden Apokalypse überlassen.

Jan Völker , 1976 geboren, ist Philosoph und lebt in Leipzig. Er studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaft in Leipzig, Berlin und Paris. 2009 erfolgte die Promotion mit einer Arbeit über die »Ästhetik der Lebendigkeit« in Kants Kritik der Urteilskraft, 2023 die Habilitation, ebenfalls in Philosophie. 

2. Foto-Grafien der Erde


Am 21. Juli 1969 landeten die Astronauten der Mission Apollo 11 auf dem Mond. Der berühmte kleine Schritt für einen Menschen, mit dem Neil Armstrong den Mond betrat, wurde live im Fernsehen übertragen und so zu einem großen Schritt für die Menschheit. 500 bis 600 Millionen Fernsehzuschauer weltweit verfolgten das Spektakel, die Hälfte aller Fernsehgeräte war eingeschaltet. Die symbolische Bedeutung der aufgepflanzten amerikanischen Fahne war immens: Der Mondlandung vorausgegangen war der Wettlauf der beiden großen Mächte des Kalten Kriegs, der Sowjetunion und der USA, um die Vorherrschaft im All. Ein neues Kapitel dieser Auseinandersetzung war eröffnet, aber keine weitere Aktion im All entfaltete eine ähnliche Kraft. Nach weiteren Landungen bis in die Siebzigerjahre hinein wurden die Programme zurückgefahren, und die bemannte Raumfahrt schien an ein Ende gekommen. So wie der Kampf um die Vorherrschaft im All in die binäre Logik der Auseinandersetzung der Großmächte eingeschrieben war, so schien sich mit dem Wegfall der Auseinandersetzung die symbolische Bedeutung der Mondlandungen endgültig zu verflüchtigen. Die kostenintensiven Bestrebungen der Monderkundungen kamen zum Erliegen, nur kurze Zeit später gefolgt von dem jähen Anschein eines Endes der Geschichte, als die Sowjetunion unterging. Seitdem wird gemeinsam auf Stationen gearbeitet, historische Händedrucke getauscht, aber alle Gemeinsamkeit beschränkt sich auf erdnahe Umlaufbahnen – den Mond betreten hat seit 1972 niemand mehr.

In den letzten Jahren aber hat das Vorhaben einer Mondlandung wieder Konjunktur. Vor dem Hintergrund einer Weltpolitik, der die binäre Ordnung abhandengekommen ist, treten nun verschiedene Mächte auf den Plan, die sich die Mondlandung zum Ziel gesetzt haben. Die USA wollen im Jahr 2025 eine erste vorbereitende Mission starten, ein Jahr später dann auf dem Mond landen und die Infrastruktur für regelmäßige Erkundungen errichten. Es gibt auch Pläne der Russen, der Inder und der Chinesen, also jenen drei anderen Nationen, denen es bislang gelungen ist, einen Roboter auf dem Mond zu landen. Auch sie streben jetzt danach, eigene Astronauten auf dem Mond absetzen zu können.

Nicht allein Mondlandungen sind wieder im Gespräch, sondern die Weltraumfahrt überhaupt erlebt eine unerwartete, mächtige Renaissance. Allerdings haben sich die Vorzeichen gewandelt. Die grundlegenden Parameter, innerhalb der die neuen Weltraumfahrten seit den frühen 2000er-Jahren geplant und ausgeführt werden, haben sich verschoben: Die heutige Weltraumfahrt wird nicht mehr ausschließlich staatlich gelenkt, die entscheidenden Impulse gehen vielmehr von privatwirtschaftlichem Kapital aus. Es sind vor allem privatwirtschaftliche Unternehmen, die die alten, teils verwaisten Raumbasen übernommen haben, neue Raketensysteme testen, Satelliten ins All schießen und schließlich auch den staatlichen Raumfahrtprogrammen ihre Unterstützung offerieren. Die Raumfahrt-Renaissance legt so Zeichen ab von der Ersetzung staatlicher Programme durch Vorhaben börsennotierter Firmen und Start-ups – der Flug in den Weltraum ist zum Signum einer Welt geworden, die die große Politik hinter sich gelassen hat und nun in ein neues symbolisches Koordinatensystem eingesponnen wird.

Um den Kontrast, die Ausmaße der Verschiebung symbolischer Bedeutung zu erkennen, gilt es, sich nicht nur das