Die Heimkehr des Richters
«Warten mit dem Aussteigen! Warten denn, bis der Zug hält!» – «Dienstmann gefällig? Dienstmann?» So, das wäre jetzt also die Heimat, nach welcher man sich das Herz aus dem Leibe gesehnt hat! Dem Landjäger, der dort in der Halle lungert, würde man's auch nicht ansehen. Ich glaube gar, er gähnt. Heimat und Gähnen!
«Haben Sie noch Großgepäck?»
Ein Bahnhofplatz wie ein anderer; starre Häuser, hart und grau wie überall; nichts von Purpurschein und Goldschimmer. Waren denn eigentlich früher die Gassen auch so zugig und leer? Puh, diese Staubwolken! Und was für ein eiskalter Wind, anfangs September! Vor einem jedenfalls, Viktor, bist du in dieser steinernen Nüchternheit sicher: vor Liebesanfechtungen. Oh, keine Gefahr!
Allein der täppische Dienstmann mit seinem zudringlichen Geschwätz erlaubte keine Besinnung. «Würden Sie mir vielleicht eine große Gefälligkeit erweisen?» ersuchte ihn Viktor. «Dann gehen Sie, bitte, langsam, aber ja recht langsam, um diesen Pfeiler, und zählen Sie genau die Schritte. – Wieviel? Sechs? Gut, ich danke; und jetzt, wenn Sie einverstanden sind, ziehen wir weiter.» Da fiel dem Männlein vor Verblüffung der Unterkiefer herunter, daß er auf dem ganzen Wege kein Wort mehr hervorbrachte.
Kaum im Gasthof angekommen, verlangte Viktor das Adreßbuch. Wie heißt sie doch gleich, gegenwärtig, die Treulose, mit ihrem angeheirateten Namen? Wyß, glaube ich, Frau Direktor Wyß. Aber wovon Direktor? Es gibt Eisenbahn-, Bank-, Gas-, Zement-, Gummi-, alle möglichen und unmöglichen Direktoren. Nun, wir werden's ja gleich lesen. Richtig, da steht sie; natürlich vorsichtig hinter ihrem Manne versteckt: Dr. Treugott Wyß, Professor, Direktor des städtischen Museums und der Kunstschule, Vorstand der kantonalen Bibliothek, Mitglied der Waisenhauskommission, Münstergasse 6.
Hu, wieviel Weisheit! was für ein Haufe voll Würden! Eigentümlich, ein Bankdirektor wäre mir fast lieber gewesen. Zwar also jedenfalls ein hochgebildeter Herr. Trotzdem – ich weiß nicht warum, es ist nicht meine Schuld –, ich kann mir diesen braven Ehefriedrich nicht anders als klein, unansehnlich und ein bißchen unbeholfen vorstellen, ich will nicht gerade sagen komisch.
Also morgen vormittag Münstergasse sechs. Gelt, schöne Dame, das sagt dir dein kleiner Finger auch nicht, daß morgen dein Richter naht?
Und am folgenden Morgen zur Besuchsstunde machte er sich nach der Münstergasse auf den Weg.
Wie sie wohl meinen Anblick bestehen wird? Zweierlei ist möglich. Entweder sie erbleicht und wankt aus dem Zimmer, oder sie errötet, faßt sich, trotzt mir und sieht mir dreist ins Gesicht. In diesem Falle werde ich meinen Blick mit Erinnerung laden und sie zwingen, die Augen vor mir niederzuschlagen. Hernach wende ic