: Friedrich Nicolai
: Geschichte eines dicken Mannes Worin drei Heiraten und drei Körbe nebst viel Liebe
: Musaicum Books
: 9788027228195
: 1
: CHF 0.50
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: Regional- und Ländergeschichte
: German
: 278
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In Friedrich Nicolais Werk 'Geschichte eines dicken Mannes' wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der mit seiner Größe und Statur zu kämpfen hat. Nicolai erzählt die Geschichte mit einem klaren und direkten Stil, der den Leser sofort einfängt. Das Buch, das im 18. Jahrhundert verfasst wurde, reflektiert die sozialen und politischen Spannungen der Zeit und bietet gleichzeitig eine tiefgründige Charakterstudie. Nicolais Werk kann als früher Vorläufer des realistischen Romans angesehen werden, da er die alltäglichen Erfahrungen und Gefühle seines Protagonisten auf einfühlsame Weise darstellt. Friedrich Nicolai, selbst ein bekannter deutscher Schriftsteller und Verleger, schrieb 'Geschichte eines dicken Mannes' möglicherweise als Versuch, die gesellschaftlichen Normen und Schönheitsideale seiner Zeit herauszufordern. Seine detaillierten Beschreibungen und psychologischen Analysen machen das Buch zu einem fesselnden Leseerlebnis. Nicolais Interesse an der menschlichen Psyche und seinen tiefsinnigen Charakterstudien prägen dieses Werk. Dieses Buch empfiehlt sich für Leser, die an literarischen Werken des 18. Jahrhunderts mit starken Charakterbeschreibungen und einer präzisen Schreibweise interessiert sind. 'Geschichte eines dicken Mannes' bietet nicht nur einen Einblick in die sozialen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit, sondern auch eine zeitlose Auseinandersetzung mit den Themen Selbstakzeptanz und gesellschaftlicher Druck.

Erster Abschnitt.
Von der Familie und den nächsten Vorfahren Anselms


In des heiligen Römischen Reichs Stadt Aachen, die sich den königlichen Stuhl nennet, ungeachtet seit Jahrhunderten in der Stadt und dem ganzen Reiche von Aachen eben kein König sich zu setzen Gelegenheit gehabt hat, wohnte ungefähr in der Mitte dieses achtzehnten Jahrhunderts Meister Anton Redlich, ein Tuchmacher, nebst seiner Frau Sabine. Er war fleißig und sparsam, sie war bieder, sparsam und ordentlich; so vermehrte sich seine Arbeit, weil jeder Kaufmann Meister Antons Tuch besser gearbeitet fand als andrer Meister.

Nun ist aber ein weises Gesetz in Aachen: ein Tuchmachermeister solle mehr nicht als auf vier Stühlen arbeiten und mehr nicht als vier Gesellen halten; ein Gesetz, welches ausdrücklich gemacht scheint, um die vielen Bettler, womit alle Straßen dieser Stadt so reichlich gesegnet sind, nicht zum Spinnen und Kämmen der Wolle kommen zu lassen. Ferner bestehet in Aachen ein andres Gesetz, welches den Protestanten nicht verstattet, ein eigenes Haus, noch weniger das Bürgerrecht zu haben. Eine solche Verordnung würde der philosophische Gesetzgeber Dohm nicht gegeben haben, der aber auch seine für die Stadt Aachen entworfene Konstitution im Jahre 1790 nicht einführen konnte; sie ist hingegen ein wesentlicher Teil der katholischen Konstitution, welche der militärische Gesetzgeber Spinola im Jahre 1641 mit gutem Erfolge in Aachen wirklich einführte. Dergleichen Verbote sind auf den frommen Grundsatz gestellt: Nötige sie hereinzukommen. Es ist aber ein Beweis, wie sehr der Verstand der Protestanten, verlassen vom unfehlbaren Richter, verkehrt worden ist, daß sie solche Verbote gewöhnlich so verstehen, als wäre ihr Sinn: Nötige sie hinwegzugehen. Meister Anton und Frau Sabine hatten das Unglück, nicht zur alleinseligmachenden Kirche zu gehören, und waren beständig mißvergnügt, daß immer für mehr als vier Stühle Arbeit da war und sie nur vier Stühle halten durften, daß sie ein eigenes Haus nötig hatten und es nicht zu besitzen berechtigt waren und daß sie zum Gottesdienste eine Stunde Wegs nach dem holländischen Dorfe Vaals gehen mußten. Daraus entstand endlich ganz natürlich der Gedanke, sich neben ihrer Kirche zu setzen. Meister Anton zog also nach Vaals, mit Frau Sabine und mit Leonoren, seiner unverheirateten Schwester. Er kaufte dort ein Häuschen, hatte mit keiner Zunft Streit, ließ auf so viel Stühlen arbeiten, als er wollte, legte eine eigene Tuchschererei und Färberei an, welches ihm in Aachen auch nicht erlaubt gewesen wäre, und hatte nur zwanzig Schritte bis zur Kirche zu gehen. Zu leugnen war es nicht, daß er anjetzt von den großen Reliquien der Reichsstadt Aachen, dem Rocke der Jungfrau Maria und den Windeln des Christkindes, nicht mehr wie ehedem nur zwanzig Schritte entfernt wohnte. Auch ist ausgemacht, wenn er die Fronleichnamsprozession und in derselben den kolossalischen vermummten Mann, welcher zur Erbauung der rechtgläubigen Bürger und Bürgerinnen Aachens Karl den Großen als einen Heiligen vorstellt, ferner anzusehen gemeint gewesen wäre, so hätte er eine Stunde Weges darnach gehen müssen. Aber Meister Anton war ein so verstockter Protestant, daß er auf alle diese Dinge eben so wenig zu achten schien, als die Reichsstadt Aachen darauf, daß in ihr eine Familie weniger wohnte und auf vier Stühlen weniger gewebt ward.

Meister Anton hatte einen Bruder, namens Georg, der von Jugend auf Trieb hatte, fremde Länder zu sehen. Dieser arbeitete daher eine Zeitlang als Geselle in Holland, wo er mit den Herrnhutern in Zeist bekannt und ihrer Gemeinde einverleibt wurde. Die Ältesten sendeten ihn mit einer Empfehlung an die Brüder nach London. Daselbst arbeitete er bei verschiedenen