Anwendbarkeit und Schutzbereich
Ob eine bestimmte Maßnahme gegen eine Grundfreiheit verstößt, wird vom EuGH üblicherweise in drei Schritten geprüft, um die einschlägigen Rechtsfragen voneinander trennen zu können. Dieses Schema ist vergleichbar mit der Prüfung des Vorliegens von Grundrechtsverletzungen im deutschen Recht:
Anwendungsbereich der Grundfreiheit,
Vorliegen einer Beeinträchtigung und
Rechtfertigung der Beeinträchtigung.
Zunächst geht es um die Feststellung, dass die Grundfreiheit unmittelbar im nationalen Recht anwendbar ist. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob die EU in diesem betreffenden Bereich bereits sogenanntes Sekundärrecht mit dem Ziel einer Rechtsangleichung unter Bezugnahme auf die Kompetenzgrundlage nach Art. 114 AEUV geschaffen hat. Existiert eine solche Norm, zum Beispiel eine Verordnung oder eine Richtlinie, dann ist diese Regelung vorrangig zu beachten.
Soweit dies nicht der Fall ist, geht es um die Frage, ob der Schutz- beziehungsweise der Anwendungsbereich der Grundfreiheit betroffen sind. Dabei dient der sachliche Anwendungsbereich der Abgrenzung der Grundfreiheiten untereinander. Zu ermitteln ist der Tatbestand der jeweiligen Grundfreiheit, das heißt also, ob es sich um Waren, Dienstleistungen, Niederlassung usw. handelt. Dabei kommt es auf den wirtschaftlichen Kern der Grundfreiheiten an. Rein karitative Tätigkeiten sind vom Schutzbereich aller Grundfreiheiten ausgenommen. Dagegen schließt ein nichtwirtschaftlicher Bezug einer Tätigkeit, wie zum Beispiel Sport oder Bildung, den Anwendungsbereich nicht aus.
Zu beachten ist, dass bestimmte Bereiche vom Anwendungsbereich einer Grundfreiheit ausgenommen sein können.
So gilt etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht für bestimmte Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung (Art. 51 AEUV), sofern deren Tätigkeit unmittelbar mit der Ausübung von öffentlicher beziehungsweise hoheitlicher Gewalt verbunden ist.
Dieses Merkmal wird vom EuGH allerdings restriktiv ausgelegt, so dass im Prinzip nur Tätigkeiten, wie zum Beispiel Polizei, Streitkräfte, Rechtspflege oder Steuerverwaltung, darunter fallen, während staatliche Einrichtungen, die mit der Verwaltung und der Erbringung von Dienstleistungen betraut sind, nicht zur Ausübung öffentlicher Gewalt zählen.
Bei den Personenverkehrsfreiheiten ist in diesem Zusammenhang auch der persönliche Anwendungsbereich zu prüfen. Grundsätzlich sind Träger der Grundfreiheiten alle Unionsbürger (Art. 45 Abs. 2, 49, 56 AEUV). Die Niederlassungsfreiheit erstreckt sich nach Art. 54 AEUV (für die Dienstleistungsfreiheit vgl. Art. 62 AEUV) auch auf Gesellschaften, die nach den Vorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptverwaltung in der EU haben.
Zudem muss der Sachverhalt grenzüberschreitend sein, das heißt, reine Inlandsachverhalte unterliegen nicht den Grundfreiheiten. So müssen zum Beispiel Waren, Personen oder Dienstleistungen eine Landesgrenze innerhalb der EU überschreiten; zumindest muss eine derartige Grenzüberschreitung geplant sein.
Vorliegen einer Beeinträchtigung
Zweitens geht es um die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung durch Adressaten der Grundfreiheiten vorliegt. Adressaten der Grundfreiheiten sind die Mitgliedstaaten und die Organe der EU. Ausnahmsweise können auch private Akteure den Binnenmarkt beeinträchtigen, wenn deren Handeln dem Mitgliedstaat funktional zuzurechnen ist. So hat der EuGH eine Beeinträchtigung darin gesehen, dass eine GmbH, die vom Staat mi