2. Träume und Täuschung
„Das ist Wahnsinn!“ Bran suchte die Blicke der Grauen und Weißen. „Ihr könnt dem unmöglich zustimmen. Denkt an all die Tiere, die dort leben, sie werden jämmerlich umkommen, wenn der Wald von allen Seiten brennt.“
„Und genau das unterscheidet uns beide“, erwiderte Denzel. „Du denkst an Wildschweine und ich an unser Dorf. Wir alle wissen, wie gern du durch den Wald spazierst und Beeren pflückst, während wir anderen auf den Feldern schwitzen.“
Dich möchte ich mal auf einem Feld schwitzen sehen! Trotz ihres Ärgers musste Nalia zugeben, dass Denzel seine Worte geschickt gewählt hatte. Nur gebratene Wildschweine waren gute Wildschweine, da waren sich alle im Dorf einig. Sie konnte fühlen, wie die Stimmung in Denzels Richtung schwang. „Für mich klingt das so, als hättest du bereits einen Plan“, sagte Jowna und winkte Bran mit dem Stab, sich wieder unter die Zuschauer zu mischen.
„Idioten! Dummköpfe!“, schimpfte Nalias Vater, während er zurück zu seinem Platz stapfte. Flynns Vater hingegen grinste siegessicher. „Wir schlagen eine Schneise vom Moosbach bis zum Goldweiher und von da in einem Bogen zum Birkenhain. Zusätzlich schaufeln wir einen Graben entlang dieser Schneise. Dadurch verbinden wir den Bach mit dem Weiher und diesen mit dem Moor. Das Wasser aus dem Graben wird zusammen mit der Schneise das Feuer vom Rest des Waldes fern halten.“
„Das klingt nach Arbeit für den ganzen Herbst“, rief eine Stimme hinter Nalia. Erwyn, einer der drei Holzfäller des Dorfes war aufgestanden. „Wenn nicht gar bis in den Winter hinein.“
„Nicht wenn jeder mit anpackt.“ Denzel ließ seinen Blick über die Zuschauer schweifen. „Jeder Mann, der stark genug ist, eine Axt zu schwingen und einen Spaten in den Boden zu treiben. Gemeinsam werden wir diese Schneise in weniger als zwei Wochen geschaffen haben.“
„Es ist Erntezeit!“, protestierte Kian. „Wir werden auf den Feldern gebraucht.“
„Wozu habt ihr Frauen? Und wenn wir die Dorfschule schließen, können die Kinder mit anpacken, ebenso alle Grauen und Weißen, für welche die Arbeit im Wald zu schwer ist.“
Viele der Frauen wechselten entsetzte Blicke. Nalia konnte sich denken, was in ihnen vorging, denn die Arbeit in Haus und Stall erledigte sich nicht von selbst. Gerade im Herbst, wenn es darum ging, so viel Obst und Gemüse wie möglich zu dörren und einzulegen, war jede Hand wichtig. Doch nicht einmal Mila erhob sich, um Denzel die Meinung zu sagen.Er wird jeden Widerspruch so auslegen, als würden wir das Dorf gar nicht retten wollen.
Kian tätschelte Mila die Schulter und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Mila seufzte und nickte. Ähnliches spielte sich auch bei den anderen Paaren und Familien ab.
Er hat gewonnen. Sie werden ihm folgen, weil sie mehr Angst vor der Stinkfäule als vor dem Feuer haben.
Auch Bran schien es zu spüren. Mit einem ärgerlichen „Ihr seid alle verrückt geworden!“, stand er auf, drängte sich durch die letzte Reihe und marschierte in Richtung seines Hofes davon.
Nalia wollte ihm nach, doch Mila hielt sie zurück. „Es tut ihm besser, wenn er eine Weile für sich sein kann“, sagte sie. „Ich kenne das von meinem Vater.“
Widerstrebend setzte Nalia sich wieder hin. In der Zwischenzeit hatten die Grauen und Weißen die Köpfe zusammengesteckt und flüsternd beraten.
Als Jowna den Stab hob, um die Entscheidung zu verkünden, wurde es noch einmal ganz still. „Wir stimmen Denzel zu. Allerdings werden wir erst die besten Stämme aus diesem Waldstück herausholen, ehe wir es niederbrennen. Das überlassen wir den Holzfällern. Die anderen Helfer kümmern sich ausschließlich um die Schneise. Jeder, der mitmacht darf sich vom Rodungsholz in diesem Streifen so viel Stämme für Feuerholz sichern, wie er selbst gefällt hat, sofern er