Künstler trifft Zug
Als Yarima Lalo an einem heißen Junitag zum ersten Mal einen Zug in die Idu Station von Abuja einzuckeln sah, fiel ihm auch zum ersten Mal ein, dass er vor vielen Jahren in einer alten Eisenbahn mit abgenutzten, seegrasgrünen Sitzen ermordet worden war.
In dem Moment, als er in der Ferne den Signalpfiff der Lokomotive und das Rattern der Räder hörte, wusste er mit absoluter Sicherheit, dass ihm in einem anderen Leben, an das er bis zu diesem Augenblick keine Erinnerung gehabt hatte, ein wütender, untersetzter Mann mit einem Knüppel den Kopf eingeschlagen hatte. Erinnerungen an dieses Ereignis – der metallische Geschmack des eigenen Bluts im Mund, der feine, rote Tropfenregen auf den Sitzpolstern des Zugs – rollten so bedrohlich brüllend und mit überwältigender Gewissheit auf ihn zu wie der Dämon aus chinesischer Produktion, der soeben herankeuchte. Die Wucht der Erinnerung zog ihn dicht an die Bahnsteigkante, bis ein Angestellter der Eisenbahn an seinem Hemd zerrte, ihn anfunkelte und fragte, ob er verrückt sei oder bloß die neuen Schienen mit seinem Blut verdrecken wolle.
»Kai! Wer, glaubst du, muss die Sauerei dann wegputzen?« Der dicke Schnurrbart des Mannes sträubte sich aggressiv und seine buschigen Augenbrauen zogen sich finster zusammen. »Seit dreißig Jahren fährt zum ersten Mal in diesem Land ein Zug und schon will irgendeinsoko ihn besudeln.« Er spuckte auf die Gleise und wandte sich ab, genau in dem Moment, als der Luftzug des einfahrenden Zugs Lalo streifte, dem immer noch das Erinnerungskonfetti durch den Kopf wirbelte.
Vor diesem Freitag hatte Lalo, soweit er sich entsinnen konnte, noch nie einen fahrenden Zug gesehen. Entschlossen, dieses Manko zu beheben, war er zum Bahnhof gegangen, hatte in der Mitte der Halle gestanden und den immer noch berauschenden Geruch frischer Farbe eingeatmet. Er durchquerte die Halle, sein Spiegelbild auf den Fliesen wurde von den LED-Lampen an der hohen Decke verzerrt. Lalo wollte unbedingt die traurige Erinnerung an die verfallenden Eisenbahnwagen vertreiben, die er vor Jahren im Bahnhof von Jos gesehen hatte. Damals hatte er, ein Rekrut, der noch grün hinter den Ohren war, den Bahnhof erkundet und stand plötzlich vor grauen Güterwaggons, die vor dreißig Jahren hereingeschlittert waren und nun verrotteten. Räder, die der Rost mit den Schienen hatte verschmelzen lassen, klaffende Öffnungen, in denen Türen und Fensterscheiben fehlten, elektrische Apparaturen, die an Kabeln und Drähten baumelten und im schwachen Luftzug gespenstisch gegen die Schalttafeln schlugen. Jedem Fitzelchen des abblätternden Lacks, das wie die Schuppen einer abgestreiften Schlangenhaut von der Harmattanbrise davongetragen wurde, war ein kleiner Teil Geschichte eingeschrieben.
Dieses Bild war in den Schatten seiner Erinnerung geglitten, tauchte jedoch von Zeit zu Zeit auf. Das letzte Mal zwei Tage vor seinem Geburtstag; er stellte in einer Ecke seines kleinen, chaotischen Ateliers in der Kolda Street die Staffelei auf, setzte, wie so oft bei der Arbeit, Kopfhörer auf und kleckste dieses graue, ihn verfolgende Bild auf die Leinwand, während er unaufhörlich rhythmisch den Kopf zur Musik bewegte. Er rieb gerade mit den Fingern einen grauen Himmel über die Güterwaggons, da klingelten die Silberglöckchen an der Tür und sein Sammler Ben Bangos kam herein, ein Mann, nicht größer als ein ausgewachsener Orang-Utan mit einem Afro wie ein umgedrehtes Adlernest. Ihm folgte sein Fahrer, dessen Schmerbauch und wallender Kaftan den falschen Eindruck erweckten, er wäre der Kunde, zumal Bangos Jeansshorts und ein schlichtes weißes T-Shirt trug.
Lalo stellte die beiden verpackten Gemälde, die Bangos abholen wollte, vor diesen hin und der Mann versch