: Barbara Frischmuth
: Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter
: Residenz Verlag
: 9783701747450
: 1
: CHF 14.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Diese kleinen Meisterwerke der Fantasie sind zugleich ein Plädoyer gegen die Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Blau schillernde Käfer, pelzige Nachtfalter, mutige Heuschrecken und flirrende Libellen sind die Held*innen von Barbara Frischmuths neuen Erzählungen. Doch wenn wir genauer hinsehen, so geht es der Autorin nicht nur um sorgfältig beobachtete Insekten: Es geht um fein gezeichnete Symbiosen von Mensch und Natur, um seltene Mischwesen zwischen Mädchen und Käfer, um sprechende Libellen oder um das, was wir uns von den schlauen Heuschrecken abschauen können. Mit liebevollem Humor zeigen uns diese Geschichten, wie sehr wir Menschen Teil der Natur sind. Denn, so wird die Gärtnerin und Dichterin Barbara Frischmuth niemals müde zu betonen: Nur in einem Zusammenleben mit der Natur, das von Respekt und Achtsamkeit geprägt ist, haben wir alle eine Überlebenschance.

Barbara Frischmuth geboren 1941 in Altaussee, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt seit 1999 wieder in Altaussee. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane 'Die Klosterschule' (1968), 'Die Mystifikationen der Sophie Silber' (1976) oder 'Kai und die Liebe zu den Modellen' (1979), aber auch ihre zahlreichen Gartenbücher. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: 'Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen' (2021)'Schaufel, Rechen, Gartenschere' in der Reihe 'Dinge des Lebens' (2023) und 'Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter' (2025).

Es ist ein sonniger Tag, an dem die Zwillinge nach dem Frühstück zum Wald aufbrechen, durch Haselnusssträucher, Kiefern, Buchen, Weiden, Eichen, Pappeln, Laub- und Nadelbäume, und dort in einen springenden Bach gehen wollen. Sie greifen und hanteln sich durch, als gäbe es keine Wege, nur Richtungen mit Erwartungen. Schon hören sie das Wasser an die Steine klatschen und sehen, wie sich das Grün zum erhöhten Blau öffnet. Rundum gibt es ein wenig Wiese und stumpfes Holz, das von gefällten Bäumen zurückgeblieben ist.

Der große Tom sieht als erster die Blauflügel-Prachtlibellen, während der kleinere Tim ein Mädchen mit grünem Hut und gelber Jacke auf einem dicken Erlenast bemerkt, den die Holzfäller vergessen haben.

Bist du …, fragt Tim, aber das Mädchen kommt ihm zuvor: Ja, ich bin Cecilia und ihr seid die Zwillinge, stimmt’s?

Tom dreht sich um: Olala, die Jungfer vom Fluss.

Du bist Tom, oder? Der große Tom, der die Bäche und Flüsse kontrolliert, Temperaturen misst und nach Schleichschwänzen sucht.

Tom nickt, gleichzeitig wiegt er den Kopf.

Und du, sie schaut auf Tim: Wer bist du?

Ich bin der Rest. Ich kontrolliere, ob Toms Kontrollen auch richtig verbucht wurden. Und du, wer bist du denn außer Cecilia?

Sie wartet ein wenig, neigt den Kopf nach vorn und öffnet den Mund: Ich gehöre zu einer anderen Art, das heißt, ich bin anders schön. Gleiche Gattung, doch andere Art, dafür sind wir ja bekannt.

Tom und Tim nicken: Das wissen wir.

Aber es reicht nicht. Wir sind die drei, die beides sein könnten, wenn wir uns besser verständigen, mit uns selbst und mit den anderen. Schönheit kann ja auch eine Hilfe sein, zumindest für die Menschen, und unser allerschnellstes Fliegen mit eigenem Strom ebenso.

Warum? Weil wir so viele Jahre hindurch nur gejagt, gefressen und gelernt haben. Das hat unser Denken samt allen unseren Einfällen gestärkt. Wir sind ein immer wieder zusammenwachsender Körper, der lebt, vergeht und sich dabei erneuert. Die Zellen begeben sich auf neue Wege, um herauszufinden, ob es brauchbare Verbesserungen gibt, nicht bloß Technisches aus Bequemlichkeit. Wir waren schon da, als die Saurier kamen, waren klug und wurden kleiner. Deshalb leben wir, trotz aller Unerträglichkeit, noch immer in dieser Welt. Jetzt wird es heiß, nach den Eiszeiten kommen die Dürren. Das haben wir schon öfter erlebt. Einige der Unsrigen sind bereits in den Norden gezogen, doch der Norden ist zu klein für uns alle, seit die Menschen zu viele geworden sind. Kontrolle hat nur Sinn, wenn das zu Kontrollierende danach entsprechend verändert wird.

Beim Frühstück sagte Tom, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, der ihm beinahe den Atem genommen habe.

Genau wie ich, meinte Tim. Dieses Mädchen mit dem grünen Hut, das ununterbrochen schnatterte …

Die Mutter fand es merkwürdig, dass Zwillinge dasselbe träumen konnten, sagte aber nichts dazu. Der Vater der beiden war, als sie noch nicht einmal richtig sprechen kon