: Hendric König
: Datenschutz und Vertrag Zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b DSGVO
: Fachmedien Recht und Wirtschaft
: 9783800597758
: Datenschutz-Berater
: 1
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: Arbeits-, Sozialrecht
: German
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Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO rechtmäßig, wenn sie 'für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist [...] erforderlich [ist]'. Nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 2 DSGVO ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie 'zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich [ist], die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen.' Die Untersuchung widmet sich der Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Regelungen. Wesentliches Anliegen ist dabei die Systematisierung und Strukturierung des Tatbestands. Entsprechend werden für jedes Tatbestandsmerkmal verschiedene Auslegungsmöglichkeiten darge tellt, diskutiert und bewertet. Ausgangspunkt ist dabei stets das europäische Datenschutzrecht. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene praxisrelevante Fragen behandelt. So wird beispielsweise untersucht, welche Rechtsverhältnisse der Vertragsbegriff erfasst und welche Verarbeitungssituation n unter den Begriff der Erfüllung fallen. Ebenso wird ermittelt, was unter einer vorvertraglichen Maßnahme zu verstehen ist und welche Anforderungen an die Anfrage der betroffenen Person zu stellen sind. Einen Schwerpunkt der Arbeit bildet die Auslegung des Kriteriums der Erforderlichkeit. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b DSGVO zur datenschutzrechtlichen Einwilligung thematisiert.

Hendric König hat an der Universität Bayreuth Rechtswissenschaft studiert. Seine Dissertation ist unter anderem neben Beschäftigungen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Datenschutzrecht bei verschiedenen internationalen Großkanzleien entstanden. Seit Oktober 2023 ist er Rechtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg.

A. Vertrag


Von der Auslegung des Vertragsbegriffs hängt ab, welche Verhältnisse überhaupt unter Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO fallen.26 Die Verordnung verwendet den Begriff „Vertrag“ nicht nur in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO, sondern auch in zahlreichen weiteren Normen.27 Die DSGVO enthält jedoch keine Definition des Vertragsbegriffs.28

Die folgenden Abschnitte untersuchen zunächst, ob der Vertragsbegriff autonom zu bilden ist oder zur Begriffsbildung auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist.29 Anschließend wird der Vertragsbegriff bestimmt.30 Das Ergebnis wird sodann an ausgewählten Rechtsverhältnissen erprobt.31 Schließlich wird untersucht, ob ein Vertrag nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO nach nationalem Recht wirksam sein muss.32

I.Autonom oder Verweis?


Eine typische Vorfrage der Auslegung von Sekundärrecht ist, ob eine Regelung unionsautonom auszulegen ist oder ob sie auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist.33 Die unionsautonome Auslegung ist kein „allgemeines Auslegungskriterium“.34 Sie ist vielmehr eine normative Vorgabe.35 Bei der unionsautonomen Auslegung wird einem Begriff ein „eigenständige[r] europarechtliche[r] Sinn“ gegeben.36

Der Unionsgesetzgeber kann für die eingangs genannte Frage Vorgaben machen.37 So betont etwa Erwägungsgrund 11 S. 2 Rom II-VO,38 dass der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses autonom ausgelegt werden soll.39 Wenn der Verordnungsgeber demgegenüber für die Begriffsdefinition auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, kommt eine unionsautonome Auslegung nicht in Frage.40

Für viele Begriffe gibt es jedoch weder eigene Definitionen noch Verweise.41 Auch die DSGVO enthält keine ausdrücklichen Aussagen dazu, ob der Vertragsbegriff in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO autonom auszulegen ist oder zur Begriffsbildung auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist.42 Fehlen entsprechende Anweisungen des Unionsgesetzgebers, muss dies durch Auslegung ermittelt werden.43

Dabei können verschiedene – im Folgenden behandelte – Indizien herangezogen werden.44 Vor diesem Hintergrund lassen sich zunächst Argumente für eine Auslegung nach dem Recht der Mitgliedstaaten finden.45 Daran anschließend werden Argumente für eine unionsautonome Auslegung identifiziert.46

1.Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten

Ein Teil der Literatur legt den Vertragsbegriff des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Alt. 1 DSGVO nach dem Recht der Mitgliedstaaten aus.47 Hierfür wird angeführt, dass es kein unionseinheitliches Vertragsverständnis gebe.48 Zudem soll das Fehlen einer Definition des Vertragsbegriffs in der DSGVO für diese Auslegung sprechen.49

a. Kein einheitliches Begriffsverständnis

Zunächst wird argumentiert, dass es kein unionseinheitliches Verständnis davon gebe, was ein Vertrag ist.50 Eine „Orientierung an einer verordnungskonformen Auslegung“ könne es folglich nicht geben.51 Die Norm verweise daher auf das nationale Zivilrecht.52 Die nationalen Besonderheiten, etwa das deutsche Abstraktionsprinzip würden insoweit „durchschlagen“.53 Wenn jegliche unionsrechtliche Anhaltspunkte für die Auslegung fehlen, kann dies grundsätzlich ein Indiz für einen Verweis auf nationale Rechtsordnungen sein.54

Zwar trifft es zu, dass es keinen Vertragsbegriff in einem europäischen Vertragsrecht gibt.55 Insbesondere kann nicht auf die Definition in Art. 2 lit. a des Entwurfs über ein gemeinsames Europäisches Kaufrecht56 zurückgegriffen werden.57 Dieser Entwurf ist in Folge der Rücknahme durch die Kommission nie zu geltendem Recht geworden.58 Mangels Verbindlichkeit scheidet auch ein Rück