1. Poison Eve
Tanya Carpenter
Als sie die Augen aufschlug, war das, was sie sah, nicht das, was sie erwartet hatte. Die Hölle hatte sich Eve definitiv anders vorgestellt.
Wo waren die Flammenmeere? Oder alternativ eine endlose Finsternis. Wieso waberten hier keine Nebel und Schwefeldämpfe umher, war die Luft nicht erfüllt vom Heulen und Seufzen der gemarterten Seelen? Einsam war es hier. Nicht einmal abscheuliche dämonische Wesen kletterten hier an den Wänden entlang. Von sinnlichen Dämonen mit unwiderstehlichem Charme ganz zu schweigen. Nix mit ewiger Qual und nix mit Sünde und Wollust. Hoffentlich war ihre Seele nicht versehentlich falsch abgebogen oder hatte man ihr doch noch auf dem Totenweg die letzte Salbung zuteilwerden lassen, sodass ihr der Zutritt in Luzifers Reich nun verwehrt blieb. Dann würde ihr gesamter Plan zur Hölle fahren – nur sie eben nicht.
Eve seufzte. Nicht so schnell den Mut verlieren, nicht vom ersten Eindruck täuschen lassen. Das hier war vielleicht bloß ... eine Art Ankunftszone. Wie ein Flur. Oder ein Vorhof.
Immerhin, ein Ort des Lichts war es nicht. Lichtbringer hin oder her. Sollte dies Luzifers Reich sein, hielt er die Beleuchtung äußerst spärlich. Aber warm war es, was Eve sehr begrüßte. Sie hasste Kälte, davon bekam sie schnell schlechte Laune. Gefroren hatte sie weiß Gott genug. Warum musste das Gericht ihren Hinrichtungstermin auch unbedingt in den Winter legen? Schon die Giftkammer war nahezu ungeheizt gewesen. Von der anschließenden Kühlbox des Bestattungsunternehmens ganz zu schweigen. Aber egal, diese Unbequemlichkeiten lagen nun hinter ihr.
Und angesichts ihrer weltlichen Taten musste sie in der Hölle sein, denn der Zugang zum Himmel blieb ihr bei derart vielen Sünden unzweifelhaft verwehrt. Aber darum ging es schließlich.
Das Band zu ihrem sterblichen Leben streifte sie ab wie eine Schlange ihre alte Haut. Welch trefflicher Vergleich. Sie war sich ihres neuen Daseins voll und ganz bewusst. Von demFrüher noch geblieben war lediglich ihre alte, menschliche Hülle in der irdischen Welt, die nun vermutlich langsam vor sich hin moderte. Egal, damit hatte sie nichts mehr zu schaffen. Sie trauerte ihrem alten Körper nicht nach, denn das, was sie bisher von ihrem neuen sah, gefiel ihr außerordentlich gut. Die Details würde sie prüfen, sobald sich eine Gelegenheit ergab. Aber dazu musste sie nun erst mal aufstehen und in Wallung kommen. Erfolge erzielte man nicht, indem man auf der faulen Haut liegen blieb.
Eve tat einen tiefen Atemzug und stemmte sich hoch. Ihr Körper fühlte sich steif an, während sie sich erhob. Die Gelenke knackten. »Ich werde doch nicht als Greisin wiedererwacht sein.« In diesem Falle würde sie ihre Meinung revidieren und ihren alten Körper doch vermissen. Schmerzlichst! Denn sie brauchte etwas Vorzeigbares für ihre Pläne. Aber nein, ihre Arme und Beine waren, soweit sie sehen konnte, nicht faltig oder fahl, sondern straff, knackig und von gesunder Farbe. Auch ihr Gesicht fühlte sich symmetrisch und jugendlich an.
Ein Blick auf die Umgebung enthüllte schwarze, schroffe Schemen, die sie nicht eindeutig zuordnen konnte, dennoch war sie sich sicher, das Ziel war nah. Sie konnte es spüren. Lange hatte sie gewartet, sich darauf vorbereitet und jetzt war es endlich soweit.
»Satan, ich komme!«, flötete sie und machte schon einen ersten, entschlossenen Schritt nach vorn, da fiel ihr ein, dass sie j