Einleitung
Ganz egal, ob wir durch Wälder, die Feldflur, Parkanlagen, Gärten oder aber entlang des Verlaufs eines Gewässers spazieren, überall findet sich irgendwann Totholz. Was so leblos klingt, ist in der hiesigen Kulturlandschaft jedoch eine wichtige Nahrungsressource für einen großen Teil der lokalen biologischen Vielfalt. So wie wir unsere Nährstoffe aus lebenden und toten Pflanzenteilen beziehen, so gewinnen andere Organismen diese aus Totholz. Bei uns Menschen gehört Holz nicht zum Nahrungsspektrum, weil wir es nicht verdauen können, andere Lebewesen hingegen haben einen anderen Verdauungstrakt und Enzyme sowie Mikroorganismen, die es ihnen ermöglichen, die Nährstoffe aus Totholz zu gewinnen.
Für das Verständnis der Nutzung von totem Material ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass alles, wirklich alles, woraus unser Körper besteht, bereits recycelt ist, und das oft unzählige Male. Jede einzelne Zelle besteht aus Material, das schon einmal gelebt hat und irgendwann gestorben ist. Selbst jedes Spurenelement hat schon andere Lebewesen überdauert. Und auch beim nächsten Sonntagsfrühstück nehmen wir wieder die Stoffe anderer Organismen auf; deren Bestandteile werden zersetzt und in unserem Körper neu zusammengesetzt. Ein Teil wird ausgeschieden, ein anderer aber verbleibt im Körper. Und so lässt sich vielleicht verstehen, dass es sich auch bei Totholz letztlich nur um Nährstoffe in einem Kreislauf handelt.
Der Name des vermutlich höchsten Baums in Mitteleuropa ist Waltraut, genauer »Waltraut vom Mühlwald«. Mit ihren etwa 67 Metern steht diese riesige Douglasie in Deutschland im Stadtwald von Freiburg im Breisgau. Trotz seiner Größe ist das höchste mitteleuropäische Landlebewesen mit aktuell 103 Jahren im Vergleich zu anderen hiesigen Baumriesen allerdings noch verhältnismäßig jung. Das liegt auch daran, dass die Gewöhnliche Douglasie (Pseudotsuga menziesii) ursprünglich aus dem Westen Nordamerikas stammt und erst seit den 1830er-Jahren in Mitteleuropa angepflanzt wird. In ihrer Heimat erreicht diese Art Höhen von bis zu 80 Metern, was jene bodenständiger Bäume deutlich überschreitet.
Im Arboretum im Freiburger Stadtwald finden sich unglaubliche 1300 verschiedene Baum- und Straucharten von fünf Kontinenten. Besonders alte oder hohe und herausragende Bäume faszinieren uns so sehr, dass wir sie heute bisweilen gut schützen; sie sind lokal oft ein touristischer Anziehungspunkt. Einige werden sogar als Naturdenkmäler ausgewiesen, womit sie einen besonderen Schutz genießen. Ist es die Ehrfurcht vor dem Alter, die Vorstellung, dass ein einzelner Baum uns in seiner Größe so vielfach überragt und sein Alter problemlos das mehrerer Generationen von Menschen übertrifft?
Mit dem Alter der Bäume korrelieren Totholzstrukturen wie etwa Höhlungen. Diese ermöglichen es Lebewesen, das Holz des Baums zu besiedeln. Dennoch lassen wir Bäume selten überhaupt altern und totes Holz im öffentlichen Raum findet nur wenig Akzeptanz. Im Gegensatz zur Bezeichnung »Totholz« zählt dieses jedoch zu den lebendigsten Strukturen in unserer Landschaft. Denn rund ein Viertel der heimischen Tierwelt ist auf Totholz angewiesen, lebt in enger Bindung mit