: Caspar-Maria Russo
: Prinzip Ungefähr
: Residenz Verlag
: 9783701747436
: 1
: CHF 16.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit Leichtigkeit und Charme erzählt Caspar-Maria Russos Roman von Masha und Iggy, von geklautem Parmigiano und von einer Liebe in ungefähren Zeiten. Hier gibt es zwei, die sich lieben und immer wieder verpassen: Iggy will Filmemacher werden, doch mit der Aufnahme auf die Filmakademie hat es bisher nicht geklappt. Masha verliert sich in den Labyrinthen des Online-Datings und studiert wie nebenbei Medizin. Die beiden begegnen sich zufällig, doch wie verliebt man sich hier und heute? Und wie spricht man darüber, wenn man über alles andere sprechen kann und jedes Beziehungskonzept kennt? Bis Masha und Iggy ein Paar werden, müssen sie erst mit der sterbenskranken Valeria nach Italien fahren, eine Kirche ausrauben, nackt im Wörthersee baden - und lernen, auch mal einfach nichts zu sagen. Und wie allen Räuberpärchen gelingen ihnen die irrsten Coups, bevor ihnen das Schwerste glückt: Nähe zuzulassen ...

Caspar-Maria Russo wurde 1994 in Eddelsen geboren und wuchs in Hamburg auf. Er studierte in Freiburg und Wien Germanistik und Komparatistik. Russo ist Sprecher von Hörbüchern und er wurde 2017 mit seiner Inszenierung 'Das bin ich nicht' zum Theatertreffen der Jugend eingeladen. Seit 2021 erscheinen seine Theaterstücke beim S. Fischer Verlag, 2022 erhielt er den exil literaturpreis, das Stück 'draußen ist wetter' war 2023 für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert. Er erhielt zahlreiche Stipendien, darunter das Dramatiker*innenstipendium und das Projektstipendium des BMKÖS. 'Prinzip Ungefähr' ist sein Debütroman. Caspar-Maria Russo lebt in Wien.

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Gut, ich bin also nach Wien gezogen, weil es angeblich die lebenswerteste Stadt ist, und dann dachte ich, schauen wir mal. Dafür habe ich mir den Golf 6 von Raban ausgeliehen, ihn bis obenhin vollgepackt, und draußen war das Wetter lau und schön. Für die Fahrt habe ich mir von meinem letzten Geld in einem kleinen italienischen Feinkostladen in Vahrenwald-List ein großes StückParmigiano Reggiano gekauft, dessen Rinde dunkelgelb war und den ich genascht habe, bis mein Mund pelzig wurde. Ich fuhr in Braunau am Inn von der A94 runter, und dachte, nicht schon wieder, rechts und links die weiten Felder und der ganze Naturkram. Ich wollte eigentlich ein BeReal machen, hatte aber die App nicht, und wenn man mit Leuten abhängt, die die ganze Zeit an deinen Klamotten zupfen und sagen, lass mal einBeReal machen, dann übernimmt man das.

Zwei Wochen vorher hatte ich einen vierminütigen Bericht im Bayerischen Rundfunk über die Zitronen vom Anadraco, einem Feinkostladen am Yppenplatz, gehört und gedacht, da will ich wohnen, also ließ ich mich vonGoogle Maps von Braunau am Inn direkt zum Yppenplatz leiten. Ich war überrascht, es gab keine leerstehende Wohnung für mich. Ich habe denParmigiano gegessen und ein Wieselburger getrunken und meine Haut war von der Wärme und von der Autofahrt klebrig. Ich hockte vorm Anadraco auf einer welligen Bank und dachte, ob es Raban hier auch gefallen würde. Das Ploppen der Tischtennisbälle, oder wie die dicken Finger der alten, schwarz gekleideten Frau die Plastiktüten auseinanderrupften. Alles roch süßlich.

Gut, in Wahrheit bin ich nach Wien gezogen, weil ich den Medizintest mitBravour bestanden hatte, ohne wirklich zu lernen. Ich hatte keine Zeit zu lernen, ich musste mich damit beschäftigen, was ich werden will. Und dann machte ich diesen Test und weil da stand, mitBravour bestanden, rief ich Raban an, und meinte, Raban, ich brauche deinen Golf 6.

Ich wurde eine sehr gute Studentin, verhielt mich bravourös, wie gesagt, war nicht in der Fachschaft und hab auch sonst nichts Soziales gemacht. Ich könnte jetzt noch erzählen, wie der Donaukanal ist und dass Nora irgendwann nach Rom gezogen ist und dass ich Buchteln im Hawelka gegessen habe und wie so ein Studilife in Wien ausschaut, wenn man in der Florianigasse 54 wohnt, aber ich habe in echt keine Lust, euch das alles zu erzählen, weil es elendslangweilig ist und weil es umIggy und mich geht. Und diese Geschichte erzähle ich jetzt.

Einen Monat und ein paar Tage, bevor ichIggy kennengelernt habe, ich kannte Wien also schon ziemlich gut, ist Folgendes passiert. Im Schauspielhaus kaufte ich für 15 € einT-Shirt, auf dem stand:Ich will immer woandershin. Ich zog es direkt an und dachte, diese Biobaumwolle ist so weich, ich brauche mehr davon. Also bin ich zurück, winkte der freundlichen Verkäuferin mit den großen Backen und dem blonden Flaum auf diesen Backen zu, und dann holte ich mir noch ein anderesT-Shirt, aber in blau. Und als ich dann mit zweiIch will immer woandershin-T-Shirts an der Votivkirche vorbei in den Achten flaniert bin, dachte ich, jetzt bin ich in Wien angekommen. Ich war ganz gerührt von meinen Gefühlen und der Hingabe zu mir selbst und so.

Die Krankheit haben ja viele,