Kapitel 2
Friederike hatte beschlossen, die großen Städte wie Leipzig, Weimar, Gera auf ihrer Route nach Höchst links liegen zu lassen und sich lieber an den kleinen und mittelgroßen Ortschaften zu orientieren. Dass sie nicht planlos querfeldein reiten durfte, war ihr schnell klar geworden, hatte sie sich doch innerhalb kürzester Zeit in dem dunklen Wald hinter Meißen hoffnungslos verirrt und war nur dank der freundlichen Auskunft eines zufällig ihren Weg kreuzenden Försters wieder auf den richtigen Pfad gelangt. Der Mann hatte ihr auch geraten, sich in Richtung Rochlitz zu halten, dort fände sie am ehesten ein Quartier für die Nacht.
Sie würde ihr vorläufiges Ziel kaum noch zu einer anständigen Uhrzeit erreichen, das ahnte sie mehr, als dass sie es wirklich wahrhaben wollte. Abgesehen davon, dass ihr auf dem harten Männersattel bereits nach drei Stunden Ritt schrecklich die Knochen weh taten, hatte sie fürchterlichen Hunger und trotz der dicken Handschuhe steif gefrorene Finger. Sie bedauerte nun, dass sie ihre über Georgs Reitdress gezogenen Frauenkleider in dem Wald hinter Meißen abgelegt und in einer Fuchshöhle versteckt hatte. War ihr bei Beginn der Reise noch viel zu warm gewesen, kroch ihr nun die Kälte in die Knochen. Vielleicht war es auch die Müdigkeit, die sie so zittern ließ. Und die Angst, wie sie sich zähneknirschend eingestand. Am liebsten hätte sie an Ort und Stelle ihr Pferd gewendet und wäre wieder in ihr warmes, gemütliches Zuhause zurückgekehrt. Aber das kam nicht in Frage. Nicht nach dem, was vorgefallen war: Charlottes Verrat, Georgs Ohrfeige, die Abfuhr von Helbig und nicht zuletzt die drohende Zwangsvermählung mit diesem aufgeschwemmten Hamburger Kaufmann.
Was ihre Eltern sich dabei wohl gedacht hatten? Gerade sie, die sie doch am besten wissen mussten, wie erfüllend eine Liebesheirat sein konnte! Friederike schnaubte. Obwohl, korrigierte sie sich dann, in letzter Zeit war der Ton zwischen den beiden auch nicht mehr so liebevoll gewesen. Gewiss, die finanziellen Schwierigkeiten des Vaters trugen nicht gerade dazu bei, die Stimmung im Hause Simons zu heben. Ihr war nicht verborgen geblieben, dass die Mutter schon des Öfteren Andeutungen gemacht hatte, ihr Mann solle lieber weniger Geld in seine unzuverlässigen Autoren als in die Sicherung des gemeinsamen Besitzstandes investieren. Was in diesem Falle hieß: in den Ausbau der Buchhandlung. Konrad Simons kümmerte sich einfach nicht genug um das Geschäft. Der Verkauf interessierte ihn nicht. Er wollte lieber inhaltlich arbeiten, neue Ideen ausbrüten und zusammen mit seinen Autoren umsetzen. Was ihm fehlte, war eine vertrauenswürdige Person an seiner Seite, die ihm all die Dinge abnahm, von denen er nichts verstand. Idealerweise hätte Georg diese Rolle ausfüllen müssen, aber daran war natürlich nicht im Entferntesten zu denken.
Was der Vater wohl dazu gesagt hätte, wenn sie als seine Tochter ihm plötzlich erklärt hätte, Buchhändlerin werden zu wollen, überlegte sie. Wahrscheinlich hätte er alle seine Bedenken hinsichtlich berufstätiger Frauen über Bord geworfen und sie mit offenen Armen als seine Mitarbeiterin empfangen. So ganz abwegig war der Gedanke gar nicht, schließlich hatte sie schon immer gern gelesen und andere Menschen mit ihrer Begeisterung für Bücher anzustecken vermocht. Doch die Malerei lag ihr einfach näher; nie war sie so mit sich im Reinen wie bei dieser schöpferischen Tätigkeit, die sowohl handwerkliches Geschick als auch eine gehörige Portion künstlerisches Talent verlangte. Es war richtig, dass sie diese gefährliche Reise angetreten hatte, das stand fest. Und so gefährlich war sie ja