1. KAPITEL
Savannah, Anfang Juni
Das Taxi fuhr gemächlich die kiesbestreute Zufahrt des prächtigen zweistöckigen Plantagenhauses hinauf, das in klassischem Südstaatenstil mit hohen Fenstern und weißen Säulen ehrfurchtgebietend auf einem Hügel am Stadtrand von Savannah thronte. Majestätische uralte Eichen, behangen mit silbergrauem spanischem Moos, säumten den Weg und spendeten etwas Schatten vor der gleißenden Sonne.
Abbie Davenport wünschte insgeheim, der Fahrer würde noch ein wenig langsamer fahren, damit sie Zeit hatte, sich zu sammeln vor dem großen Wiedersehen mit der ganzen Familie. Vor allem mit ihren Eltern.
Wie lange war sie jetzt nicht zu Hause gewesen? Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Es musste etwa ein Jahr her sein. Ja, knapp ein Jahr war seit Grannys Geburtstagsfeier vorigen Sommer vergangen, dem letzten großen Event der Davenport-Familie. Und auch da war sie nur so kurz wie möglich in der Stadt geblieben.
Seit sie vor über zehn Jahren zu Hause ausgezogen war, um Meeresbiologie zu studieren, war sie nur noch selten zurückgekehrt. Im Grunde nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.
Die vergangenen Tage in London waren wie immer hektisch gewesen. In den Projekten, für die sie bei einer international tätigen Umweltorganisation verantwortlich war, gab es jede Menge zu tun. Zahlreiche wichtige Informationen für ihre Studie waren kurzfristig aufgetaucht, und sie hatte sich kaum aus dem Büro freimachen können. Zweimal hatte sie ihren Flug verschieben müssen. Sie hatte schon befürchtet, es nicht rechtzeitig zu schaffen, doch um nichts in der Welt hätte sie Callies Hochzeit verpassen wollen. Und jetzt war sie endlich hier.
Das Taxi hielt vor der imposanten weißen Freitreppe des Eingangsportals. Nun war es so weit. Abbie atmete tief durch, straffte die Schultern und stieg aus.
Schwüle, feuchte Luft umfing sie und kräuselte die Spitzen ihres schulterlangen schwarzen Haars. Vertrauter süßer Blütenduft drang in ihre Nase, der für sie immer mit Savannah und Grannys weitläufigem Park verbunden war. Der alte Rosengarten im hinteren, etwas abgelegenen Teil des Parks war ihr liebster Rückzugsort gewesen, wenn sie mit ihren Eltern zu Besuch kam. Unzählige Feriennachmittage hatte sie als Kind zwischen den üppig rosablühenden Sträuchern gehockt, meist in eins ihrer geliebten Bücher vertieft.
Es gibt auch schöne Erinnerungen an meine Kindheit in den Südstaaten, dachte sie plötzlich.Nicht nur die an Callie. In ihrem neuen Leben in London vergaß sie das manchmal fast.
Der Taxifahrer hievte ihren großen Rollkoffer aus dem Kofferraum, da wurde plötzlich die mächtige Eichentür des Herrenhauses schwungvoll aufgerissen.
„Abbie, endlich! Ich habe dich vom Fenster aus gesehen“, ertönte es fröhlich von der Tür.
Sie wandte sich lächelnd um. Ihre Cousine stand strahlend am Eingang, in einem wunderschönen blauen Seidenkleid und mit elegant hochgestecktem hellblondem Haar.
„Ich dachte schon, dass du gar nicht mehr kommst“, rief Callie und bemühte sich vergebl