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Alexander Ewans senkte den Finger auf den Bildschirm und tippte die Buchstaben sorgfältig ein:J – E – E – S – U – S.
Falscher Sicherheitscode. Das Gerät ist eine Stunde gesperrt.
»Feck off!«, fauchte Alexander. Das Tablet in seinen Händen wollte sich nicht kampflos ergeben. Das Ding war völlig nutzlos, nur weil er nicht der rechtmäßige Besitzer war und die Ziffernkombination, die es entsperren würde, nicht kannte. Alexander presste seinen mageren Daumen auf den Bildschirm. Am liebsten hätte er das Gerät in der Mitte gefaltet und so lange an die Wand geworfen, bis es in tausend Stücke zerfiel. Stattdessen griff er nach seinem Stift und kritzelte die Kombination, die er gerade eingegeben hatte, auf ein Stück Papier. Beim vorigen Mal war er mit dem Geburtsdatum des Besitzers ans Ziel gekommen. Diesmal wusste er nichts über die Person, der er die Aktentasche geklaut hatte. Er wusste nur, dass der Besitzer des Wagens allem Anschein nach gläubig war, denn am Rückspiegel hatte ein silbernes Kruzifix gehangen. Die Lösung des Coderätsels war jedoch nicht der Heiland, und nun konnte er erst in einer Stunde einen neuen Versuch starten.
Alexander schloss die Augen. In Gedanken hörte er immer noch das Splittern der Scheibe und das Heulen der Alarmanlage. Die Gelegenheit hatte den Dieb gemacht, buchstäblich. Die lederne Aktentasche hatte auf dem Rücksitz eines teuren Sportwagens in Munkkisaari gelegen, und nirgends war eine Menschenseele zu sehen gewesen. Obendrein gab es wie auf Bestellung ein paar Meter weiter eine verlassene Baustelle, an deren Rand ein Stapel Ziegelsteine lag, das geeignete Werkzeug für das Verbrechen. Das rechte hintere Seitenfenster hatte nach ein paar kräftigen Stößen nachgegeben, und obwohl er sich den Handrücken aufritzte, als er die Tasche herauszog, war er schon in weniger als einer Minute mit seiner Beute weit weg von dem Auto. Bei aller Spontaneität ein perfektes Verbrechen; allerdings drohte die Ausbeute mager zu bleiben.
Scheiße, Sascha, das Pad is nix wert, wenn man’s nich aufkriegt.
Alexander dachte an die Textnachricht, die Ripa ihm geschickt hatte, und die Erbitterung schnürte ihm die Kehle zu. Ripa gab sich als Freund aus, wusste aber überhaupt nicht, was Alexander in den letzten zwei Jahren durchgemacht hatte. Ripa hatte keine Ahnung, wie es war, ohne Geld in einer fremden Stadt zu leben, als angehender Gitarrist, der wie durch einen Blitzschlag zuerst die im Aufstieg begriffene Band gegen einen Scheißjob in einem Schnellrestaurant und dann auch noch seine Zweierbeziehung gegen bittere Einsamkeit eintauschen musste. Alles war umgefallen wie Dominosteine, und plötzlich war er nicht mehr der unter einem glücklichen Stern geborene junge Rockstar, als der er sich immer gesehen hatte. Trotzdem hatte er es um jeden Preis vermeiden wollen, nach Waterford zurückzukehren, denn das wäre die absolute Niederlage gewesen, die endgültige Kapitulation.If work was a bed, you’d sleep onthe floor! Selbst Alexanders finnischer Vater, der die Einfälle seines Sohnes im Allgemeinen wohlwollend aufgenommen hatte, würde sich kaum über seine Rückkehr freuen. Ich habe es dir ja gesagt, würde er brummen.I told you so, Alex.
Trotzdem vermisste Alexander seinen Vater. Sein Vater hatte ihn zum Flughafen gebracht, war an der Sicherheitskontrolle zurückgeblieben und hatte mit den Tränen gekämpft – das erste Mal, dass er seine Gefühle gezeigt hatte. Ironischerweise erst, als Alexander sich entschieden hatte, die Flügel auszubreiten und ans andere Ende Europas zu reisen.
Jetzt, anderthalb Jahre später, waren der warme Sommer und das unermüdliche Licht in Helsinki zum zweiten Mal der Kälte und Dunkelheit g