2.
Im November wurden die Tage kürzer und immer kälter. An diesem Nachmittag prasselten Graupelschauer gegen die geschlossenen hölzernen Fensterläden. Dadurch war es im Haus so dunkel, dass Roisin mehrere Talglichter angezündet hatte. Sie saß neben dem Feuer in der Küche und flickte das einzige Kleid, das sie besaß und nur an den Sonntagen trug, wenn sie den Gottesdienst besuchte. Lavinda hatte ein weiteres Mal über Kopfschmerzen geklagt und war nach dem Mittagsmahl wieder zu Bett gegangen. Glücklicherweise schlief sie tief und fest, so hatte Roisin jetzt etwas Ruhe. Edward war bereits am Morgen verschwunden, ohne zu erklären, wohin er gehen wollte, und am Nachmittag hatte Elian mit einem Sack voll steinerner Kunstwerke das Haus verlassen.
»Ich bin mit der Ausschmückung des Gemachs der Königin fertig«, hatte er erklärt, »und will die Figuren noch heute einsetzen. Wenn ich zurückkomme, werde ich einen prallen Beutel mit Münzen haben.«
»Nächste Woche ist Wollmarkt in der Stadt.« Lavindas Augen hatten erwartungsvoll gefunkelt. »Der letzte in diesem Jahr, bevor der Schnee die Wege versperrt. Ich brauche unbedingt Stoffe für neue Gewänder.«
»Du wirst dir alles kaufen können, was dein Herz begehrt. Zum Abendessen bin ich zurück.« Der Vater sah zu Roisin. »Da ich heute ein so gutes Geschäft tätige, möchte ich keine Gemüsesuppe, sondern ein ordentliches Stück Fleisch auf dem Teller haben. Und Bier! Ich erwarte einen großen Krug Bier. Den habe ich mir redlich verdient!«
»Selbstverständlich, Vater«, hatte Roisin erwidert und dem großen, breitschultrigen Elian nachgesehen, wie er beschwingt in Richtung des westlichen Stadttores schritt. Den Sack hatte er sich über die Schultern geworfen, als beinhaltete er Entendaunen und keine schweren Steinarbeiten.
Die Bauarbeiten an der gewaltigen Außenanlage der Burg Conwy waren vor acht Jahren beendet worden. Ursprünglich als uneinnehmbare Festung geplant und dementsprechend schmucklos errichtet, hatte der König dann doch entschieden, die Innenräume auszuschmücken. Die Lage der Burg über der Bucht des Conwy schützte vor allzu heftigen Unwettern, und das Klima war für die Gegend angenehm. Besonders für die Königin sollten prachtvolle Gemächer entstehen. Leider hatte Eleonore von Kastilien die Fertigstellung der Innenräume nicht mehr erlebt. Sie starb vor fünf Jahren.
»Der König trauert aufrichtig«, hatte Lavinda gesagt. »Die Ehe galt als besonders glücklich.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, hatte Elian gebrummt. »Könige und Königinnen heiraten aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, nicht aus Liebe.«
»Das schließt nicht aus, dass zwischen dem Paar auch gegenseitige Zuneigung entsteht«, hatte Roisin eingeräumt.
»Mädchen, was weißt du denn von solchen Dingen?«, hatte Lavinda von oben herab gemeint. »Du solltest nicht alles glauben, was die Leute reden.«
Roisin hatte geschwiegen. Eben noch hatte die Stiefmutter gemeint, der König habe Eleonore geliebt. Kaum jedoch sagte sie, Roisin, etwas zu dem Thema, verbot Lavinda ihr den Mund. Egal, was sie tat – der Frau würde sie es wohl nie recht machen können.
Inzwischen verhandelte König Edward mit dem spanischen König Philipp IV. über eine Vermählung mit dessen Schwester. Allerdings drangen nur wenige Informationen über den Stand der Dinge in den Norden von Wales. Tatsache war, dass König Edward angewiesen hatte, den Innenausbau der Burg voranzutreiben, für Roisin das Zeichen, dass England bald eine neue Königin hab