Kapitel 1
YASMEN
Im Rückspiegel sieht man selten etwas Gutes.
Eine Lektion, die ich inzwischen gelernt haben sollte, aber ich werfe dennoch einen Blick nach hinten und sehe zu, wie meine Tochter auf der Rückbank die Regeln bricht. Ihr Bruder auf dem Beifahrersitz neben mir ist genauso übel.
»Leute, jetzt ist keine Daddelzeit.« Ich teile meine Aufmerksamkeit auf zwischen der Interstate und den Kindern. »Packt eure Handys bitte weg.«
»Ernsthaft, Mom?« Die ganze Verzweiflung einer Dreizehnjährigen tut sich in dem Seufzer meiner Tochter Deja kund. »Ich bin gerade mit der Schule und dem Tanzunterricht fertig. Mach mal halblang.«
»Sorry, Mom«, sagt Kassim und legt das Telefon in den Schoß.
Deja ächzt noch einmal, als wüsste sie nicht, was sie mehr aufregt: dass ich Regeln aufstelle oder dass ihr Bruder sie befolgt.
»Arschkriecher«, murmelt sie, den Blick immer noch auf ihr Display geheftet.
»Deja«, sage ich. »Dieses Telefon gehört mir, wenn du es jetzt nicht wegsteckst.«
Ihre Augen, dunkel mit goldenen Flecken, begegnen mir im Spiegel, ehe sie das Telefon weglegt. Es ist, als würde ich mich selbst anstarren. Wir sind uns so ähnlich. Haut, so glatt und dunkel wie poliertes Walnussholz. Ihr Haar neigt wie meines dazu, sich wild zu kräuseln, gerät beim geringsten bisschen Luftfeuchtigkeit aus der Form. Und sie hat das gleiche sture Kinn, das einen ähnlich störrischen Charakter andeutet.
»Sie ist genau wie du«, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn Deja als Kleinkind mit Anlauf ins nächste Malheur stürmte, obwohl ich sie zur Vorsicht ermahnt hatte. Wenn sie sich aufraffte, nur um mit neuen Kratzern und blauen Flecken wieder davonzustürmen. »Geschieht dir recht. Jetzt siehst du mal, womit ich es zu tun hatte, als ich dich großgezogen habe.«
Ich dachte immer, es wäre ein Segen, wenn Mutter und Tochter sich gleichen wie ein sprichwörtliches Ei dem anderen. Und lange Zeit war es auch so … bis Deja dreizehn wurde. Gott, wie ich dieses Alter hasse. Ich scheine in ihren Augen gar nichts mehr richtig machen zu können.
»Also, wie war euer Tag?«
Ich frage, um all die Zeit, die wir beim Pendeln im Wagen zubringen, sinnvoll zu nutzen. Sie sind gerade erst seit zwei Wochen wieder in der Schule, und ich sollte dieses Jahr beginnen, wie ich es auch fortzusetzen gedenke.
»Jamal hat seine Eidechse mit zur Schule gebracht«, erzählt Kassim und sieht mich mit amüsiertem Blick von der Seite an. »Und sie ist im Unterricht aus seinem Rucksack gekrabbelt.«
»Oh mein Gott.« Ich lache. »Konnte er sie wieder einfangen?«
»Schon, aber das hat bestimmt zwanzig Minuten gedauert. Ganz schön schnell. Die Echse, meine ich.« Kassim fummelt an einem Knopf des sauberen weißen Hemds seiner Schuluniform herum. »Ein paar Mädchen haben geschrien. Ms Halstead hat auf ihrem Stuhl gestanden, als wäre es eine Schlange oder so was.«
»Ich wäre wahrscheinlich auch ausgeflippt«, gestehe ich.
»Die ist doch harmlos. Das war ja kein Gilatier oder eine Skorpion-Krustenechse«, sagt Kassim. »Das sind zwei der giftigen Arten in Nordamerika.«
Mir fällt auf, dass Deja den Hinterkopf ihres Bruders