1.
Montag
Ich bin zu spät. Selbst wenn ich diesen einen Tag dazuzähle, an dem eine Herde Schafe sich dazu entschied, eine Pause auf den Gleisen einzulegen und damit meinen Zug zum Stillstand brachte, kann ich meine bisherigen Verspätungen an einer Hand abzählen. Genauer gesagt an einem einzigen Finger.
Ab heute brauche ich zwei.
Grund dafür ist eine Verkettung von Ereignissen, die bereits jedes für sich genommen einen Nervenzusammenbruch auslösen könnten. Zu meinem Unglück sind sie allerdings eine teuflische Verbindung eingegangen, um mich noch ein bisschen schneller in den Wahnsinn zu treiben. Alles begann mit einem kaputten Kaffeevollautomaten. Am Display klebte heute Morgen ein Zettel in der Handschrift meiner Mitbewohnerin Nalini:Hinüber. Sorry, Süße, ich kümmere mich später darum! xxx, N. (Ach, und Kaffeefilter und Pulver für die andere Maschine sind auch aus …) Dann folgte die Sache mit der Straßenbahn, die einfach nicht kam, weil die komplette Linie den ganzen Tag ausfällt. Und zu guter Letzt war da noch dieses Kind, das mir gefühlt einen Liter Multivitaminsaft über die Schuhe geschüttet hat, als ich gerade zum Bus rennen wollte.
Was für ein Start in den viertletzten Montag meines einjährigen Sabbaticals.
Sabbatical – wie das klingt. Groß und bedeutend, nach Erholung, Abenteuer, Selbstfindung und so. Nach weit entfernten Ländern, spontanen Entscheidungen und Freiheit. Danach, das Leben zu feiern. Kurz gesagt: Es klingt nach all dem, was ich in den letzten achtundvierzig Wochennicht getan habe. Ich habe mich weder lasziv an einem Strand gerekelt und dabei Mandalas ausgemalt noch habe ich fremde Kulturen für mich entdeckt oder Schildkröten beim Schlüpfen zugesehen. Und am allerwenigsten habe ich neue Pfade in dichtes Dschungelunterholz getreten. Das einzige Unterholz, dem ich in all der Zeit nahe gekommen bin, war die Lorbeerhecke am Rande des Gartens, den meine Eltern ihr Eigen nennen. Und Erleuchtung habe ich dort keine gefunden.
Aber zugegeben, ich habe auch nie vorgehabt, mein Jahr Auszeit mit Sonnencreme und Meeressand paniert irgendwo im Ausland zu verbringen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mir solch einen Luxus für maximal drei Tage hätte leisten können, war der ursprüngliche Plan ein vollkommen anderer – nur leider hängt der inzwischen nicht mal mehr an einem seidenen Faden, nein, er hängt an etwas, das der Erinnerung an einen seidenen Faden gleicht. An einem Phantomfaden. Und da