Eins
Mercy Kilpatrick fragte sich, wem sie beim Portland-FBI auf die Füße getreten war.
Sie stieg aus dem Wagen und ging an zweiSUVs des Deschutes County Sheriffs vorbei, um sich das Grundstück genauer anzusehen, auf dem das einsame Haus auf der bewaldeten Ostseite der Vorläufer der Cascade Mountains lag. Der Regen prasselte auf Mercys Kapuze, und ihr Atem kondensierte vor ihrem Gesicht. Sie stopfte sich die Enden ihrer langen dunklen Locken unter den Mantel und bemerkte den vielen Schutt hinter dem Haus. Was für jeden anderen wie überwucherte Hecken und unachtsam weggeworfener Müll ausgesehen hätte, fiel ihr auf den ersten Blick als sorgfältig geplantes Leitsystem ins Auge.
»Was für ein Chaos«, sagte Special Agent Eddie Peterson, der ihr vorübergehend zugewiesen worden war. »Anscheinend wohnt hier ein Messie.«
»Das ist kein Chaos.« Sie zeigte auf die Dornenhecke und einen riesigen Haufen verrosteten Altmetalls. »In welche Richtung möchten Sie bei diesem Anblick gehen?«
»In jede außer in diese«, antwortete Eddie.
»Ganz genau. Der ganze Müll wurde bewusst dorthin gelegt, um Besucher in den freien Bereich vor dem Haus zu leiten und daran zu hindern, sich an den Seiten oder dahinter umzusehen. Und jetzt schauen Sie mal nach oben.« Sie deutete auf das zugenagelte Fenster im ersten Stock, das nur noch eine schmale Öffnung genau in der Mitte aufwies. »Sein Müll bewirkt, dass Fremde genau dort auftauchen, wo er sie sehen kann.« Eddie nickte und musterte sie erstaunt.
Ned Faheys Haus war nicht leicht zu finden gewesen. An den ungeteerten Straßen standen keine Schilder, und sie hatten präzise, nahezu metergenaue Anweisungen des County-Sheriffs befolgen müssen, um zu dem tief im Wald versteckten Haus zu gelangen. Mercy bemerkte das feuerfeste Metalldach und die Sandsäcke, die anderthalb Meter hoch vor dem Haus gestapelt worden waren. Die heruntergekommen wirkende Hütte lag weit von allen Nachbarn entfernt, dafür jedoch in direkter Nähe einer natürlichen Quelle.
Was Mercy nur gutheißen konnte.
»Was sollen die Sandsäcke?«, murmelte Eddie. »Wir sind hier in einer Höhe von tausendzweihundert Metern.«
»Dabei geht es um Masse. So hält man Geschosse auf und verlangsamt die bösen Jungs. Außerdem sind Sandsäcke billig.«
»Also war er verrückt.«
»Er war gut vorbereitet.«
Vom Hof drang leichter Verwesungsgeruch an ihre Nase, und als sie die Verandastufen erklomm, wurde der Gestank immer intensiver.Er ist schon seit mehreren Tagen tot. Ein Deputy vom Deschutes County hielt ihr und Eddie mit versteinerter Miene ein Klemmbrett mit einer Liste entgegen, auf der sie sich eintragen sollten. Mercy beäugte den schlichten Ehering des Deputys. Da wäre jemand alles andere als begeistert, wenn er heute Abend mit Leichengeruch in der Kleidung nach Hause kam.
Eddie, der neben ihr stand, atmete schwer durch den Mund ein. »Nicht übergeben«, warnte sie ihn leise und streifte sich Einwegüberschuhe über die Gummistiefel.
Er schüttelte den Kopf, wirkte jedoch skeptisch. Sie mochte Eddie. Er war ein kluger Agent mit positiver Einstellung, allerdings auch ein Junge aus der Stadt, der hier draußen in der Provinz mit seiner Hipsterfrisur und der Nerdbrille umso mehr auffiel. Seine teuren Lederschuhe mit dickem Profil würden nach dem Schlamm in Ned Faheys Garten nie mehr dieselben sein.
Aber sie sahen gut aus.
Zumindest hatten sie bis vor Kurzem gut ausgesehen.
Im Haus verharrte sie und nahm die Eingangstür in Augenschein. Die Tür bestand aus Stahl und wies vier Scharniere und drei Bolzenschlösser auf, wobei die beiden zusätzlichen Bolzen oben und unten an der Tür angebracht waren.
Fahey hatte sich eine hervorragende Verteidigung aufgebaut und dabei alles richtig gemacht, dennoch war es jemandem gelungen, die Barrieren zu durchbrechen.
Das hätte überhaupt nicht möglich sein dürfen.
Mercy hörte Stimmen im oberen Stockwerk und ging auf sie zu. Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung wiesen sie und Eddie durch den Flur zu einem Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses. Als Mercy das beständige Summen hörte, drehte sich ihr der Magen um; zwar hatte sie schon von diesem Geräusch gehört, es jedoch noch nie vernommen. Eddie fluchte leise, als sie Faheys Schlafzimmer betraten, und die Rechtsmedizinerin, die gerade die auf dem Bett liegende aufgeblähte Leiche untersuchte, blickte auf.
In Bezug auf die Ursache des Geräuschs hatte Mercy recht behalten. Der Raum vibrierte förmlich vom tiefen Summen der Fliegen, die sich um die Körperöffnungen des Toten ballten. Me