Kindheit im Paradies
Aus welchen Gründen auch immer bekam ich vom Leben das große Privileg einer glücklichen Kindheit geschenkt. Darüber sollte ich mir im Lauf meines Lebens noch viele Gedanken machen. Über dieses Geschenk einer unbeschwerten Kindheit – und darüber, was es bedeutet, wenn man nicht so viel Glück hat.
Doch damals, in meinen ersten Jahren, war das nichts, worüber ich groß nachdachte. Schließlich kannte ich nur mein Leben. Und ich genoss es in vollen Zügen.
In Tirol, im breiten, sonnigen Inntal mit Blick auf die graue Nordkette, durfte ich meine ersten Jahre verbringen.
Ich wurde in eine große Familie hineingeboren, mit vielen Cousinen, Tanten, Onkel, anfänglich sogar noch drei Großeltern und zwei intelligenten, kreativen, unangepassten Eltern.
Die Wohnung, die Mama und Papa mit eigenen Händen umbauten, als ich noch im Bauch meiner Mutter lag, war die einzige »Elternwohnung«, an die sich mein Kind-Ich jemals gewöhnen musste, denn die beiden zogen nie wieder aus. Bis heute leben sie in der Altbauwohnung im Erdgeschoss, mit großen, gerundeten Fenstern, einer schweren, knarzigen Eingangstüre, hohen Decken und einem verwunschenen Garten, in dem sich schon während meiner Kindheit rauschend die Tannen und Birken wogen.
Unsere Wohnung war bunt und verrückt. So stand zum Beispiel die Badewanne neben der Küche inmitten Dutzender Farne, Hängepflanzen und Monstera-Blättern, die die einzigen Wände waren, die das Bad vom Rest der Wohnung trennten.
Das Wohn- und Esszimmer war riesig, und an zwei Wänden zogen sich aus Ziegeln und Brettern gezimmerte, selbstgebaute Bücherregale hoch bis zur Decke, ächzten und bogen sich unter dem Gewicht Hunderter Krimis, historischer Romane, Fantasy-Epen, Biografien und Lexika.
Im Boden des Esszimmers gab es zwei große, durch dicke Glasplatten geschützte Löcher im Parkett, in die wir buntes Laub oder Steine legten und die im warmen Schein von zwei eingebauten Scheinwerfern abends golden leuchteten.
An den weißen Spiegelschrank in meinem Kinderzimmer malten Mama und ich Blumenranken und farbenfrohe Punkte, und unter meinem Stockbett gab es eine Höhle voller weicher Kissen und Würfel, die ich mithilfe von Vorhängen zuziehen und mich so vor der Welt verstecken konnte.
Mein liebster Ort jedoch war das Himmelbett meiner Eltern, dessen sonnengelbe Vorhänge und blaue Seidendecke mir immer das Gefühl von großer Sicherheit und wohligem Zuhause-Sein vermittelten. Dort lasen mir Mama oder Papa abends vor, oft aus meinem LieblingsbuchRonja Räubertochter, das von einem wilden Mädchen inmitten einer Räuberbande hand