: Elaine Garvey
: Die Frau hinter der Bühne Roman | Zwischen dem Londoner West End und einem kleinen Dorf in Irland - ein Roman über die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und die Kraft der Emanzipation
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426448151
: 1
: CHF 16.00
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 220
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eindring ich, elegant, bewegend: Der Coming-of-Age-Roman »Die Frau hinter der Bühne« erzählt mit großer sprachlicher Kraft von einer unsicheren jungen Frau aus Irland und der unbarmherzigen Welt hinter den Kulissen des Theaters. Für ihren Traum, Theater-Regisseurin zu werden, zieht die 21-jährige Mairéad Sweeney aus ihrem kleinen irischen Dorf nach London. An einem der zahlreichen Theater im quirligen West End findet sie einen Job als Assistentin der Kostümbildnerin. Ihre Chefin führt ein strenges Regiment, doch ihre größte Kritikerin bei allem und jedem ist Mairéad selbst. Sie fühlt sich als Außenseiterin in der Großstadt, am Theater und bei ihren dünnen Kolleginnen. Als ihre Großmutter stirbt und Mairéad zur Beerdigung nach Hause fährt, muss sie eine Entscheidung treffen: Will sie weiterhin glauben, was wahr zu sein scheint - über ihre Eltern, über sich selbst, über den arroganten Theater-Intendanten und seine Macht, sie und andere zu drangsalieren? Oder will sie anfangen, ihre Welt infrage zu stellen? Eine echte Empfehlung für alle, die gute Romane lieben Die irische Autorin Elaine Garvey hat ein unnachahmliches Talent zum Zeichnen ihrer Figuren, die allesamt wirken, als könnten sie uns an der nächsten Straßenecke begegnen. Mairéad auf ihrer Reise zu sich selbst zu begleiten, ist berührend und gleichzeitig ein großes Vergnügen. Die authentischen Einblicke in die Welt des Theaters geben dem Coming-of-Age-Roman sein besonderes Flair. Wer Claire Keegans »Kleine Dinge wie diese« oder Sally Rooneys »Schöne Welt, wo bist du« gern gelesen hat, wird von Elaine Garvey bestens unterhalten.

Elaine Garvey stammt aus County Sligo, Irland, und studierte Creative Writing am Trinity College, Dublin. Ihre Kurzgeschichten wurden im Dublin Review und der Anthologie Winter Papers veröffentlicht. Garvey wird als Schriftstellerin vom Irish Department of Arts unterstützt. Die Frau hinter der Bühne ist ihr Debütroman.

Donnerstag,28. März2002,11:15 Uhr


Ich stieg Green Park aus und ging zu Fuß weiter. Was für eine Erleichterung, wieder über der Erde zu sein. Wenn ich Richtung Piccadilly Circus lief, links in die Sackville Street und quer durch Soho, hatte ich zwischen U-Bahn-Station und Theater fünfzehn Minuten frische Luft.

Vom Ritz bis zur Regent Street kam ich an vier berühmten Gebäuden vorbei, in denen ich noch nie gewesen war. In halb so viele war ich in diesem Land bisher eingeladen worden. Zwei in zwölf Monaten. Eine After-Show-Party in der Wohnung eines Schauspielers und ein Reihenhaus in Surbiton, in dem ein Cousin meines Vaters mit seiner Frau lebte. Nicht meine Idee. Drei Stunden hatte ich gebraucht, um dorthin zu kommen, nur um mich dann mit guten Ratschlägen bombardieren zu lassen, wie ich mein Leben zu leben hätte. Genau wegen solcher Leute hatte ich Irland verlassen. Beide reagierten pikiert, als ich ihnen erzählte, dass meine jetzigen Vermieter Muslime waren und ich mich prächtig mit ihnen verstand, viel besser als mit deren Pendant in Dublin. Ich lud sie nicht zu mir ein, um Mr. und Mrs. Hanif kennenzulernen. Hatte ich bisher überhaupt jemanden nach Kingsbury eingeladen? Nein, hatte ich nicht.

In der Brewer Street war es weniger hektisch, Taxis im Schneckentempo, Lieferwagen am Straßenrand. Eine Mutter mit einem kleinen Kind in Schuluniform kam mir auf dem schmalen Bürgersteig entgegen. Die gleichen Augen, die gleiche Haarfarbe. Sie hielten sich an den Händen. Als ich zur Schule ging, musste meine Mutter mich mit Süßigkeiten oder einem Ausflug zur Pferdeweide locken. Sobald sie erwähnte, wohin es wirklich ging, bekam ich Bauchschmerzen, und beim Anblick des Schultors erstarrte ich. Ich trat zur Seite, um die beiden vorbeizulassen. In einiger Entfernung saß eine Elster auf einer Werbetafel und fixierte mich dreist wie ein Leopard. Ich wollte sie mit meiner Einsamkeit füttern. Damit der hungrige Vogel sie auffraß.

Ich blieb erst wieder stehen, als ich die gegenüberliegende Straßenseite des St.-Leonard-Theaters erreicht hatte, und wartete auf eine Lücke im Verkehr. Das Tageslicht war grausam zu diesem Ort. Ohne die Dunkelheit als Hintergrund gab es keine Leuchtreklame, keine Lauflichter über dem Vordach, nichts, was die Aufmerksamkeit von Kaugummiresten und Zigarettenstummeln auf den Granitstufen ablenkte. Onkel Wanja und seine Rosen auf den Plakaten sahen blutleer aus. Die Wände hinter den Glastüren waren vergilbt und schmuddelig und warteten auf das weichere Licht der Kronleuchter. Abend für Abend liefen siebenhundertvierundneunzig Paar Schuhe über den roten Teppich, der abends so glamourös wirkte wie tagsüber schäbig. Anyas akkurate Staubsaugerlinien, die die Flecken im Foyer kaschierten, wurden vom Theaterpersonal wieder plattgetreten. Sie musste gerade mit den Waschbecken und Duschen für die Schauspieler durch sein, als ich Mr. Henderson am Bühneneingang grüßte, die Garderobenschlüssel entgegennahm und mich für die erste Hälfte meiner Doppelschicht eintrug. Eingesperrt für die nächsten vier Stunden. Ich ging an den Kulissen vorbei, an der Gemeinschaftsküche, dem Aufenthaltsraum mit seinen bunt zusammengewürfelten Möbeln aus früheren Produktionen – manchen fehlten Gliedmaßen, andere fielen nach monatelanger Misshandlung auseinander – und stieg die Hintertreppe zur Kostümabteilung hinauf, ganz nach oben, wo die Temperatur einem tropischen Gewächshaus glich. Die Dachluke war geschlossen, aus Angst, die Tauben könnten alles vollscheißen.

Binnen einer Stunde hatte ich eine Nähmaschinennadel in einen Reißverschluss eingeklemmt, einen Hosenboden ruiniert und entdeckt, dass eines von Wanjas weißen Hemden in der gestrigen Wäsche zerfetzt worden war. Lass alles stehen und liegen. Verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken. Der Impuls hielt nicht länger als eine Seifenblase. So mutig war ich nicht. Um mich zu beruhigen, stieß ich den Notausgang zur Feuertreppe auf und machte eine frühe Teepause.

Draußen auf der Stahlplattform, fünf Stockwerke hoch, wehte eine steife Brise. Ich verspürte den Drang, mich übers Geländer zu stürzen, also schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die tulpenförmige Tasse in meiner Hand. Die Wärme an meinen Handfläc