Kapitel 2
Es war immer noch schön warm draußen. Nur die Schreie der Möwen waren zu hören, so wie in allen Orten, die am Meer lagen. Bis zum Mason’s war es nicht besonders weit. Die Fenster der Pension lagen im Dunkeln. Das konnte nur bedeuten, dass die anderen den Abend im Pub verbrachten und vermutlich auf sie warteten. Natürlich konnte sie es ihnen nicht verübeln, aber sie wollte jetzt lieber allein sein. Eine konkrete Antwort konnte sie ihnen ohnehin noch nicht liefern. Die Begegnung mit Joel DeLuca musste sie erst einmal verdauen. Fragen über seine Person beantworten, konnte sie zu einem späteren Zeitpunkt immer noch. Sie war sich allerdings nicht sicher, ob sie das überhaupt wollte. Was Joel betraf, war sie ziemlich durcheinander. Dennoch spürte sie tief in sich eine kleine Freude darüber, dass sie ihn wiedergesehen hatte. Freude, dass er so sexy aussah. Freude, dass er ihr nicht den Kopf abgerissen hatte, sondern immerhin versucht hatte, höflich zu sein, zumindest im späteren Verlauf des Abends. Genau, wie Norman es vorausgesagt hatte. Baylee beschloss, sofort ins Bett zu gehen. Sie war so müde wie schon lange nicht mehr. Unter der Dusche seufzte sie wohlig. Erst dort fiel ihr ein, dass sie Joels Frau verpasst hatte. Das war mit ziemlicher Sicherheit besser so.
Als Baylee erwachte, lag Trixi neben ihr und schnarchte leise. Sie roch nach Alkohol, viel Alkohol. Wenn sie so weiter machte, würde es ein Donnerwetter mit Ted geben. Er hatte die Singers mit harter Hand geführt. Als junger Mann hatte er eine Offizierslaufbahn bei der Royal Navy absolviert. Die strenge Erziehung und Disziplin dort hatten ihn mehr geprägt als gut für ihn war.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es gerade mal sechs Uhr früh war. Na gut, dann stand sie eben auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie sich in den vergangenen Monaten je so ausgeschlafen gefühlt hatte. Vorsichtig, um Trixi nicht zu wecken, holte sie frische Unterwäsche, ein Top und Shorts aus dem Schrank. Im Bad zog sie sich an, erledigte ihre Morgentoilette, schlüpfte in ihre Stilettos und schlich sich aus dem Zimmer.
Als sie die Treppe hinunterlief, begegnete sie der Wirtin, Ellen Mason.
»Guten Morgen. Frühstücken Sie allein oder warten Sie auf die anderen?«
»Darf ich schon um diese Zeit?«
»Natürlich. Der Kaffee ist gleich durchgelaufen, oder möchten Sie lieber Tee?«
»Kaffee klingt himmlisch.«
»Suchen Sie sich einen Platz aus und bedienen Sie sich. Kaffee kommt sofort.«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Es dauerte nicht lange, bis Ted die Stufen herunterkam. Doch an Frühstück war bei ihm erst zu denken, nachdem er sein morgendliches Lauftraining absolviert habe, erklärte er ihr und verließ das Haus. Baylee war froh, noch eine Weile ihre Ruhe zu haben. Sie schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee nach und aß einen weiteren Bagel. Die waren hier ausgesprochen gut. Danach entschloss sie sich, einen Erkundungsgang durch St. Elwine zu machen. Suchte sie insgeheim bereits eine neue Bleibe und einen Job? Weil sie nun wusste, dass Joel hier lebte? Mhm, kein Kommentar, Baylee Scott. Sie frequentierte einen kleinen Supermarkt und betrat ihn in Ermangelung eines festen Zieles. Milch, Orangensaft, Obst, Frühstücksflocken und Honig wanderten in den Einkaufswagen. Außerdem Wurst und Käse. In der Backabteilung griff sie nach einem Baguette und zwei niedlichen Blaubeer-Muffins, die wunderbar aussahen. Nachdem sie bezahlt hatte, stapelte sie alles in eine Einkaufstüte und stöckelte hinaus. Plötzlich blieb sie mit dem Absatz im Abtreter hängen. Sie fühlte förmlich den Moment, als der Absatz brach, nachdem sie vergeblich einen ungeschickten Befreiungsversuch eingeleitet hatte. Der Stiletto ruckte, und sie stand mit dem rechten Fuß quasi eine Etage tiefer. Dadurch geriet sie ins Straucheln, wollte sich abfangen, wobei ihr die Einkaufstüte aus den Händen rutschte. Die Schachtel mit den Muffins, die obenauf gelegen hatte, schlug aufs Pflaster, klappte auseinander und das Gebäck kullerte geradewegs vor die Schnauze eines Havaneser-Yorkscher-irgendwas-Wischmop-Mix, der nur darauf gewartet zu haben schien.
»Wag es nicht!«, rief sie, doch es war längst zu spät. Mit wahrem Heißhunger stürzte er sich auf die Leckerbissen.
»Mistviech.«
Immerhin wusste Baylee, wann eine Schlacht als verloren galt und kümmerte sich stattdessen darum, den Rest des Einkaufs zu retten. Stolpernd und hinkend stöckelte sie weiter, bis ihr und ihrem Becken der Gang zu anstrengend wurde. Sie steuerte die nächstgelegene Parkbank an, stellte ihre Tüte ab und zog sich die Riemchen über die Fersen. Barfuß laufen war ja neuerdings wieder angesagt. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und wandte den Kopf. Der freche Köter setzte sich nicht wei