7.
Anders als Vollendorf befürchtete, dachte Cristina nicht daran, ihren Kampf gegen ihn auszuweiten. Sie war erst einmal froh, den gestrigen Opernabend gut – oder, wie Elisabeth Karau sagte – glänzend zu Ende gebracht zu haben. Noch immer war Singen ihre große Leidenschaft. Elisabeth spottete bereits, dass sie darüber sogar ihre Kinder vergäße. Aber das wies Cristina energisch zurück. Albert und Rosalie waren ihr Ein und Alles. Ihr Sohn war mit seinem Lehrer in Tresskau zurückgeblieben, Rosalie hatte sie nach Weimar mitgenommen. Die Kleine war nun zweieinhalb Jahre alt und ein sehr munteres Kind. Vor allem konnte sie sehr lautstark werden, wenn ihr etwas nicht passte. Das Einzige, was sie dann beruhigen konnte, war die Stimme der Mutter, die ein Kinderlied sang. Mittlerweile stimmte Rosalie mit ein und zeigte bereits eine ausdrucksstarke Stimme.
»Heute war unser Schatz sehr brav«, berichtete Geli, die die Aufsicht über Albert an dessen Lehrer übergeben hatte und sich nur noch um Rosalie kümmerte.
»Das freut mich!«, antwortete Cristina und nahm ihre Tochter auf den Arm. »Wollen wir ein wenig zusammen singen?«
Rosalie nickte eifrig und stimmte ihr Lieblingslied an. Cristina fiel darin ein, und schließlich sang auch Elisabeth mit. Wegen eines Halsleidens war ihr eine große Sangeskarriere versagt geblieben, doch sie hatte immer noch eine angenehme Stimme, und gelegentlich gelang es sogar ihr, Rosalies Unmut zu besänftigen. An diesem Tag war die Kleine ohnehin sanft wie ein Lamm.
Nach einer Weile klopfte es, und die Wirtin kam herein. »Verzeihung!«, sagte sie und knickste unbeholfen. »Doch draußen steht der Herr Geheimrat von Goethe und bittet darum, vorgelassen zu werden.«
»Um diese Zeit?«, fragte Elisabeth, da es für einen Vormittagsbesuch recht früh war.
»Ich lasse bitten!«, sagte Cristina.
Sie war ebenfalls gespannt, aus welchem Grund Johann Wolfgang von Goethe sie aufsuchte. Immerhin war er ein berühmter Dichter, und nicht wenige nannten ihn den Dichterfürsten der Deutschen.
Goethe trat ein und grüßte. Noch immer wunderte er sich über die Verwandlung des einstigen Gauklermädchens Cristina. Es bestärkte ihn in dem Glauben, dass es in jeder Gesellschaftsschicht Menschen gab, die über sich hinauswachsen konnten, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu bot. Aus Cristina Chiodi hatten der Unterricht durch Elisabeth Karau und Irmbert von Lauenstein und die Jahre am Hof von Meiningen eine kultivierte Dame gemacht.
Dies war jedoch nicht der Grund seines Kommens. Goethe nahm Platz, als Cristina ihm einen Stuhl anbot, und sah sie mit ernster Miene an.
»Was ich Euch jetzt berichte, wird Euch nicht erfreuen. Aus dem GasthofZum Elephant kam die Nachricht, dass sich dort Baudouin de Pleinevillage und die Comtesse Deconnu eingefunden haben. Meinen Informationen zufolge waren die beiden gestern bei der Opernvorstellung anwesend.«
Cristina kniff die Lippen zusammen. Pleinevillage oder Vollendorf hatte sie vor mehr als vierzehn Jahren entführt. Zwar hatte sie ihm entkommen können, doch seitdem lebte sie in einer gewissen Furcht vor ihm. Nein, keine Furcht, korrigierte sie sich. Aber sie ging ihm sorgsam aus dem Weg. Daher waren sie sich seit damals nur zweimal begegnet. Beim ersten Mal hatte er sie nicht bemerkt. Aber vor zwei Jahren hatte er Lauenstein und sie beim Fürstenkongress in Erfurt aufs Übelste beleidigt und dafür gesorgt, dass ihrem Mann das ihm zustehende Erbe verweigert worden war. Die Aufregung, der Zorn und die Enttäuschung waren für ihren Mann zu viel gewesen. Er war gestorben und hatte sie als Witwe zurückgelassen.
Nun war Vollendorf wiederaufgetaucht, und sie musste auf sich und ihre Kinder achtgeben.
»Ich danke Euch, Herr Geheimrat!«, sag