Sepphoris war bereits von Weitem zu sehen. Auf einem Hügel thronte es wie die Krone auf dem Haupt eines Königs. Die Straßen der Stadt waren mit gebrochenem Marmor ausgelegt, die Häuser der reichen Bürger bestanden aus Lehm, Stein und Holz und waren innen mit Mosaiken ausgeschmückt. Es gab ein Hippodrom für Pferderennen und einen Tempel für die Götter der Heiden, der so anders war als jene Tempel und Gebetshäuser, die Jeschua kannte, obgleich er als gläubiger Jude in den fast dreißig Jahren seines Lebens noch nie darin gewesen war. In der Mitte der Stadt lag ein von Säulen umgebener Marktplatz, die Agora. In einen Hang war ein Theater hineingebaut, in dem die Römer ihre Schauspiele aufführten und sich amüsierten. Josef schüttelte darüber den Kopf. »Wer das Leben imitiert, der lästert Gott«, sagte er. »Nur ihm ist es gegeben, zu erschaffen.«
Das Haus ihres Auftraggebers lag südlich des Theaters. Die Diener des Griechen kamen fast alle aus seinem Heimatland und der Hausherr behandelte sie gut. Kratylos, wie der Hausherr hieß, war ein Mann, wie er Jeschua noch nie begegnet war. Wenn Josef und er eine Pause machten und sich sein Vater mit einem Schlauch Wasser in den Schatten einer Dattelpalme zurückzog, lud Kratylos den jungen Jeschua ein, mit ihm zu »diskutieren«. Eine Diskussion, erklärte er Jeschua, war eine griechische Kunst, in der beide Seiten aus verschiedenen Perspektiven über ein Phänomen sprachen und sich gegenseitig von ihrem Standpunkt zu überzeugen versuchten. Allerdings glichen Kratylos’ Diskussionen den Vorträgen, die Jeschua von den jüdischen Gelehrten kannte. Er selbst kam kaum zu Wort. Doch das störte ihn nicht, hatte der Grieche doch interessante und bisweilen lustige Dinge zu erzählen.
So berichtete er Jeschua von einem griechischen Philosophen. Philosophen, erklärte er ihm, seien große Weise gewesen, die Einsichten über das Leben besaßen, die sie über die gewöhnlichen Menschen erhoben. Sie würden in seiner Heimat sehr verehrt. Deshalb wunderte sich Jeschua, dass Kratylos’ Lieblingsphilosoph ein Mann namens Diogenes gewesen war, der mit nichts als einem Leinentuch bekleidet heimatlos umherirrte und von Almosen lebte. »Ich besitze nicht, damit ich nicht besessen werde«, soll dieser Diogenes gesagt haben. Und als er einmal auf den großen Feldherren Alexander traf, über den Jeschua zahlreiche Legenden gehört hatte, wollte ihm der große Kaiser