1. KAPITEL
Sie wollte nicht hineingehen.
Aber sie musste.
Nikita Wallace zog ihren Mantel um sich, als der kalte Nebel in winterlichen Nieselregen überging.
Aber sie blieb, wo sie war, weit weg vom Schutz des Haupteingangs des Bristol Central Infirmary. Des Krankenhauses, in dem sie einmal geglaubt hatte, für den Rest ihres Lebens als Unfallchirurgin glücklich zu werden.
Doch seit über einem Jahr war sie nicht mehr durch diese Türen gegangen.
Ein Handy klingelte, als jemand an ihr vorbeiging. Die Erkennungsmelodie ein Weihnachtslied, passend zu dieser Zeit Mitte Dezember.
Der Text des Liedes schlich sich in Nikitas Kopf, und es klang fast wie ein Hohn.
Tis the season to be jolly …
Ja, richtig, die Jahreszeit, um fröhlich zu sein … Nikita atmete tief durch und spürte die nasskalte Luft in ihrer Kehle. Sie hatte geglaubt, dass sie mehr als bereit war. Eigentlich hätte sie schon letzte Woche herkommen sollen, als ihre Freistellung abgelaufen war. Sie musste es tun. Und sei es, um sich zu beweisen, dass sie sich genug erholt hatte, um wieder in ihr normales Leben zurückzukehren. Sie brauchte nur noch einen Moment. Einen Moment, um den Mut aufzubringen. Sie hätte nicht gedacht, dass es ihr so schwerfallen würde.
Weil sie nicht in diesem Krankenhaus sein wollte. Oder überhaupt in einem Krankenhaus. Weil es voller Menschen sein würde. Personal und Patienten, Erwachsene und Kinder und wahrscheinlich auch Babys. Keiner von ihnen ahnte, dass sie ihnen nicht zu nahe kommen wollte. Es war kurz vor Weihnachten, und alles würde festlich dekoriert sein, und die Leute würden alberne Haarreifen und Pullover tragen. Und blinkenden Schmuck wie die Ohrringe der Frau auf dem Parkplatz. Vielleicht würden sich sogar Sternsinger im Foyer versammeln oder durch die Gänge des Krankenhauses ziehen, damit niemand die vorweihnachtliche Freude verpasste.
All das erwartete sie hier.
Zu viel, denn selbst ein Teil hatte ausgereicht, um in den ersten Tagen dieses Jahres einen Flashback auszulösen. Nikita war zuversichtlich, dass sie sich gut erholt hatte, aber … aber diese Angst war nie ganz verschwunden, oder?
Sie atmete noch einmal tief durch. Ihr Atem bildete eine Dampfwolke in der eisigen Luft. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, doch Nikita wusste, dass es die Kälte war, nicht die Angst.
Sie würde es schaffen.
Es würde nicht lange dauern.
Und dann würde sie es nie wieder tun müssen, denn deshalb war sie hier.
Um endgültig die Stelle aufzugeben, die ihr über ein Jahr lang frei gehalten worden war.
Wenn es einen Ort gab, an dem sich Pedro Garcia außer im Operationssaal am liebsten aufhielt, dann war es hier – in der Notaufnahme. Und als orthopädischer Chirurg, spezialisiert auf Unfallchirurgie, konnte er sowohl hier als auch dort so viel Zeit verbringen, wie er wollte.
Gerade jetzt befand er sich wegen eines Notfalls in der Notaufnahme des Zentralkrankenhauses von Bristol. Man hatte ihn gerufen. Ein Vierzehnjähriger war mit seinem Skateboard auf dem Heimweg von der Schule gestürzt und hatte sich die Schulter ausgekugelt. Pedro hatte eine erste Röntgenaufnahme angeordnet, um einen größeren Bruch auszuschließen, und zeigte seinem jungen Patiente