: Uri Chanoch
: Von Kaunas über Dachau in ein neues Leben Erinnerungen eines Holocaust-Überlenden
: Allitera Verlag
: 9783962334789
: 1
: CHF 13.40
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 256
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Uri Chanoch ist 1928 in Kaunas in Litauen geboren. Seine in diesem Band schriftlich festgehaltenen Erinnerungen zeigen den Weg durch die barbarische erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und den Völkermord an den europäischen Juden. Im August 1940 wurde das kleine baltische Land Teil der Sowjetunion. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden die Eltern Frieda und Shraga zusammen mit den Kindern Miriam, Uri und Daniel in das im August 1941 errichtete Ghetto Kaunas gezwungen. Nach der Liquidierung des Ghettos im Juli 1944 kamen Mutter und Tochter ins KZ Stutthof bei Danzig, der Vater und die beiden Söhne Uri und Daniel in den neu errichteten Dachauer KZ-Außenlagerkomplex Kaufering bei Landsberg am Lech. Während die Eltern und die Schwester nicht überlebten, wurde Uri auf einem Todesmarsch befreit und fand wenig später sogar seinen Bruder Daniel in Italien wieder. Seine Rückkehr in ein normales Leben ebenso wie die Emigration nach Eretz Israel gibt er in seinen Erinnerungen anschaulich wieder. Wie Uri Chanoch anfänglich von Rachegedanken geplagt und später zu einem der wichtigsten Vertreter der Versöhnung und Erinnerungskultur in Landsberg und Dachau wurde, davon handeln diese bewegenden Memoiren des Holocaust-Überlebenden.

Uri Chanoch, 1928 im litauischen Kanuas geboren, wurde von den Nationalsozialisten zusammen mit seiner Familie nach Deutschland deportiert, wo er im KZ Kaufering landete. 1945 wurde er von den Amerikanern befreit. Nach dem Krieg wanderte Chanoch zusammen mit seinem einzigen überlebenden Bruder nach Israel aus. Seitdem setzte er sich als Zeitzeuge unermüdlich für das Gedenken an die Schoa ein. Sein Tod 2015 bedeutete einen großen Verlust für die israelitische Kultusgemeinde nicht nur in Bayern

Kindheit in Kaunas, Tage der Unschuld

Ich wurde hineingeboren in eine Welt voll Optimismus und Hoffnung. Zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, einer Zeit voll Grausamkeit, Tod und Zerstörung, glaubten die Menschen fest daran, dies wäre der letzte Krieg gewesen. Litauen, dieser kleine baltische Staat, erlangte nach jahrhundertelanger Unterdrückung durch polnische und russische Herrschaft endlich seine Unabhängigkeit.

Zum ersten Mal erhielten Juden die vollen Bürgerrechte und Präsident Antanas Smetona1 führte Gesetze ein, welche jeden offen zutage tretenden Antisemitismus verboten. Litauens Juden glaubten, nun hätte eine Ära des Friedens und der Sicherheit begonnen. Merkten sie tatsächlich nichts von der noch schwelenden Glut unter der oberflächlichen Stille? Begriffen sie wirklich nicht, dass viele Litauer niemals aufgehört hatten, ihre jüdischen Nachbarn zu hassen?

Ich wurde in Kaunas geboren, wo ein Drittel der Bevölkerung einmal aus Juden bestanden hat. Es war und ist immer noch eine schöne Stadt. Die Straßen sind meist schmal, die Häuser haben höchstens zwei oder drei Stockwerke. »Lasves Aleja«, die Lasves-Allee, ist ein wunderschöner, von Bäumen gesäumter Boulevard, der sich mit seinen Cafés und Geschäften einmal quer durch die Stadt zieht. Die Flüsse Neris und Vilija trennen die flacheren Ebenen der Stadt von den Aleksotas-Hügeln und den »Grünen Bergen«, auf denen einige stattliche Stadthäuser thronen.

Am Tag meiner Geburt, Ende März, war die Stadt ganz in Weiß getaucht, tief in Schnee gehüllt, in dem man versinken konnte, und ein eiskalter Wind wehte vom Fluss herüber, der nicht weit von unserem Haus entfernt war. Doch Mutter sagte immer, der Duft des Frühlings, der schon hinter der Ecke wartete, sei bereits in der Luft.

Bikkur Holim2 – das bedeutet »Krankenbesuch« – war ein jüdisches Privatkrankenhaus, das über ein schönes und nagelneues Gebäude verfügte. Die Ärzte und Krankenschwestern versorgten das Neugeborene, das respektable viereinhalb Kilo auf die Waage brachte und bereits den Kopf voll prächtiger schwarzer Haare hatte. Meine Eltern gaben mir einen hebräischen Namen, was in jener Zeit ungewöhnlich war: Uri. Üblicherweise entschied man sich für den Namen eines verstorbenen Verwandten. Mein Name wurde von den nächsten Angehörigen sofort gedehnt zu Uri