Mitten in der Nacht stand der Großvater an seinem Bett. Seine Geschwister, die Vettern im Zimmer, schliefen tief und fest, fast wie betäubt nach den Ereignissen des Tages, die ihnen die Macht des Schicksals vor Augen geführt hatten. Richard aber fand keine Ruhe, denn in ihm war die Schuld, nachdem ihn die Tante angeklagt hatte, aufgegangen wie ein Teig. Sie hatte sich in ihm breit gemacht, füllte den ganzen Körper an, drückte gegen den Bauch und aufs Herz. Kaum konnte er noch atmen. Da beruhigte es ihn, den Großvater zu sehen. Obwohl es stockfinster war, erkannte er sein Gesicht, die tiefen Falten, es war nicht ein Lächeln, wie er es bei Jolanda gesehen hatte, sondern vielleicht nur die Andeutung davon, fein und wohlwollend, tröstend war das. Der Großvater trat nahe zu ihm heran, beugte sich hinab, so dass seine linke Wange fast die seine berührte. Unhörbar für jeden anderen flüsterte er ihm etwas ins Ohr. Richard konnte die Worte nicht verstehen, verstand aber das Besänftigende, das mit ihnen verbunden war. Nun wusste er, dass ihm nichts geschehen würde. Die Schuld war noch immer da, aber sie schrumpfte ein wenig zusammen, und es war ihm wieder möglich, ruhig zu atmen, ohne sich sorgen zu müssen, zu ersticken. Er wollte den Großvater nach dem Onkel fragen, denn gewiss hatte er ihn im Krankenhaus in der Stadt besucht, aber da drehte der alte Mann sich um und ging langsam und gebückt fort. Richard sah ihm nach, dem dunklen Umriss im dunklen Zimmer, sah ihn zur Tür gehen, hörte aber nicht, wie er sie öffnete, sah keinen Lichtschein durch den Spalt dringen, und dann war der Gutgesinnte verschwunden, als wäre er niemals da gewesen. Richard musste nicht mehr auf seinen Atem achten, er musste nicht mehr seinem Herzen nachspüren oder seinen Bauch befühlen, weil der, angespannt von der inneren Not, zu platzen drohte. Er musste nicht mehr an das Pferd denken oder dem Hall des Schusses nachlauschen, musste nicht sein Hemd ausziehen und damit den blutenden Onkel bedecken. Die Bilder waren mit dem Großvater aus dem Zimmer verschwunden, und nun hatte es der Schlaf ganz leicht mit ihm, es bedurfte keiner Überredung mehr, dass er darin versinken konnte.
In den nächsten Tagen war alles wie immer und doch anders auch. Die Kinder gingen zur Schule. Wenn sie am Mittag zum Hof kamen, war meist jemand aus der Nachbarschaft da. Die Bauern wechselten sich ab mit der Arbeit, die zu erledigen war. So stand man zusammen. Was der Onkel sonst allein leistete, wurde nun unter den vielen aufgeteilt, die sich sonst nur am Sonntag auf dem Kirchhof trafen oder zu einem der Feste oder auf den Feldwegen mit ihren Ochsen und Wagen. Auch der Tante wurde einiges abgenommen, weil Bäuerinnen aus dem Dorf zu Mittag kochten, wenn sie in die Stadt ging, um ihren Mann im Hospital zu besuchen. Die anderen ließen Richard nicht merken, was er verbrochen hatte. Sie sprachen zu ihm, wie sie es immer taten, eigentlich sagten sie nichts, sondern murrten ihn an, murmelten ihm etwas durch ihre geschlossenen Lippen oder Bärte hindurch zu, das zumindest klang wie ein freundlicher Gruß. Manchmal legten sie eine Hand auf seine Schulter. Die Tante aber sprach nicht mit ihm in diesen Tagen. Sie