1. KAPITEL
Tannis Carlson öffnete die Tür des Fitnessraums und trat in die kühle Luft hinaus. Sieben Grad Celsius mochten für einen Abend in Virginia warm sein, aber es war eindeutig die falsche Temperatur für eine Frau, die mit nichts als einem Badetuch bekleidet war. Leider hatten die vorigen Besitzer, von denen sie vor sieben Jahren das Haus gekauft hatte, nicht auch den Whirlpool im Keller einbauen lassen.
Eilig lief sie über die Veranda. Ein schneller Blick auf die Nachbarhäuser beruhigte sie. Kein Mensch war zu sehen, als sie den Deckel der „Tonne“, hob, wie sie den Whirlpool nannte, da er ganz mit Holz verkleidet war und sie an eine Tonne erinnerte. Schwaden von heißem Wasserdampf entwichen in die kühle Nacht. Die Bäume am Ende ihres Gartens und ein hoher Holzzaun, der ihr kleines Grundstück umgab, schützten sie vor den Blicken der Nachbarn – vor Toms Blicken. Nein, sie durfte nicht an ihn denken. Jetzt nicht, und überhaupt nicht.
Tannis warf ihr Badetuch auf einen Stuhl und kletterte schnell die wenigen Stufen zum Whirlpool hinunter. Sie prüfte mit dem großen Zeh die Temperatur, dann ließ sie sich langsam in das heiße Wasser gleiten.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich an die Hitze gewöhnte. Sie liebte es, hier draußen im Dunkeln zu sitzen und zu träumen. Jetzt war das Wasser perfekt, und sie rutschte auf der Bank ein wenig tiefer. Die Anspannung des Schultages fiel allmählich von ihr ab. Wenn sie nur eine Möglichkeit wüsste, wie sie ihre Sorgen ebenfalls loswerden könnte. Es würde nicht leicht sein, genug Geld zu verdienen, um das Haus zu behalten und auch für die Pflege ihrer Mutter aufzukommen. Wenn doch das Pflegeheim nicht so teuer wäre. Wenn Lehrer doch besser bezahlt werden würden.
Es wird Zeit, dass du der Wahrheit ins Gesicht siehst, Tannis, sagte sie sich. Du musst dir einen zweiten Job suchen. Dabei war das Unterrichten schon anstrengend genug, obwohl sie Kinder liebte. Aber allein die Vorstellung, abends auch noch zu arbeiten, war fast schon zu viel für sie. Und was für einen Job könnte sie schon finden? Außer ihrer Ausbildung als Lehrerin hatte sie keine weiteren Fähigkeiten aufzuweisen, und im Augenblick war nicht die Zeit, in der Nachhilfelehrer gesucht wurden.
„Ich wette, das Wasser ist heute fantastisch.“
Tannis fuhr zusammen und hätte vor Schreck fast geschrien. Doch im letzten Moment erkannte sie die tiefe, ruhige Stimme ihres Nachbarn Tom Hayes, und wie immer, wenn er in ihre Nähe kam, klopfte ihr Herz wie ein Trommelwirbel.
„Tom, du Leisetreter, was schleichst du hier herum?“ Sie versuchte, das Zittern ihrer Stimme so gut wie möglich zu unterdrücken, und rutschte instinktiv tiefer unter die Wasseroberflache. Hoffentlich sah er im Dunkeln nichts von ihrer Nacktheit.
„Ich wollte mit dir reden“, sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, seine Anwesenheit zu entschuldigen. „Ich habe angerufen, aber du bist nicht rangegangen. Dann habe ich dein Auto gesehen und wusste, dass du zu Hause bist. Amy sagte, dass du abends oft noch mal in die Tonne springst, also bin ich für einen Moment rübergekommen.“
„Sind die Kinder im Bett?“ Tannis konnte ihn wegen des Wasserdampfes nur undeutlich erkennen. Tom hatte einen Fuß auf die unterste Stufe zum Whirlpool gestellt und den Ellbogen aufs Knie gestützt. Er trug Jeans und hatte eine Jacke um die breiten Schultern gelegt. Das Hemd stand am Hals offen und zeigte einen Teil seiner muskulösen Brust. Wie gewöhnlich wurde ihr auch jetzt ganz heiß bei seinem Anblick.
Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Er ist nicht für dich bestimmt.
Nein, er war eindeutig nicht der Mann für sie. Trotzdem brachte die Erinnerung an diesen einen Kuss sie immer noch aus der Fassung. Entschlossen drängte sie sie zurück. Der Kuss war ein Fehler gewesen, den sie seit fast vier Jahren bereute.
Aber sie hatte ihre Reaktion auf Tom Hayes noch nie kontrollieren können, seit sie ihn zum ersten Mal vor fast acht Jahren kennengelernt hatte. Ihre Freundin Mary hatte ihn ihr als ihren Mann vorgestellt, und sie wusste noch genau, wie schockiert sie gewesen war, als er ihre Hand genommen und sie das Gefühl gehabt hatte, in Flammen zu stehen. Was war nur an ihm, dass sie so stark auf ihn reagierte?
Man konn