: Barbara Schibli
: Flimmern im Ohr
: Dörlemann eBook
: 9783038208907
: 1
: CHF 17.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sommer 2010. Während Priska mit ihrem Innenohr-Implantat das Hören so übt, dass die Punkmusik von früher wieder Rausch werden könnte, erschüttert ein politischer Skandal die Schweizer Öffentlichkeit. Wie in den politisch aufgeheizten 1970er- und 80er-Jahren hat der Inlandsgeheimdienst wieder illegal Daten verdächtiger Personen abgegriffen.Auch Priska wurde damals beobachtet. Die neuerliche Fichen-Affäre weckt Erinnerungen an ihre Zeit in der Clubszene und der Frauenbewegung, vor allem aber an Gina, ihr Vorbild, ihre unerschrockene Mitstreiterin und große Liebe, die ebenfalls im Visier des Staatsschutzes war. Über dreißig Jahre später denkt Priska zurück und fragt sich, wie ihr Leben wurde, was es jetzt ist.Mit poetischen Bildern und sanfter Radikalität spürt Barbara Schibli der Frage nach, ob wir mit den Jahren immer mehr wir selbst werden oder uns in Kompromissen verlieren. Und woran wir den Unterschied erkennen.

Barbara Schibli, 1975 in Baden geboren, hat Germanistik, italienische Literaturwissenschaft und Publizistik studiert. Sie lebt im Kanton Aargau und arbeitet als Gymnasiallehrerin in Baden. 2016 gewann sie den Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosamanuskript. 2017 wurde sie für ihren Debütroman Flechten mit dem GEDOK Literaturförderpreis ausgezeichnet. 2018 gewann sie mit ihrem Hörspiel Marderschreck den Wettbewerb des 8. sonOhr Hörfestivals.

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Lost in town


Natürlich schlägt das Ganze auf die Beziehung – was soll die rhetorische Frage?!

Wir haben schon einiges miteinander überstanden, Bengts Affären, meine Affären. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass wir uns wirklich entfremden. Beide voneinander wegdriften, aus unterschiedlichen Gründen. Aber so, dass ich das Gefühl habe, es gibt kein Zurück. Bengt, mein zukünftiger Ex?

Manchmal habe ich den Eindruck, ich sei ihm gleichgültig. Wie es mir mit dem CI geht – er fragt kaum je danach. Ganz am Anfang hat ihn der technische Aspekt interessiert, er wollte wissen, wie das funktioniert. Aber was es mit mir macht, scheint ihn weder sonderlich zu interessieren noch zu berühren.

Die äußeren Umstände verwirren mich dermaßen, dass ich auch nicht mehr klar spüre, was ich eigentlich für Bengt empfinde. Oder vielleicht stimmt das auch nicht, denn ich fühle mich schon noch zu ihm hingezogen, weiß aber auch nicht mehr, ob das nur Gewöhnung ist.

Mir scheint, es brauche gerade alles so viel Energie, und ich bin erschöpft. Das färbt auch auf die Beziehung ab. Dass das mit diesen sogenannten äußeren Umständen zusammenhängt, ist klar, aber ich frage mich im Moment schon auch, ob das, was ist, noch reicht.

Wir teilen wenig, verbringen kaum Zeit zusammen, unternehmen kaum mehr etwas miteinander. Unsere Interessen und Aktivitäten scheinen sich immer mehr voneinander zu entfernen. Wir engagieren uns nicht gemeinsam für etwas, haben kein gemeinsames Projekt oder Ziel. Und die körperliche Intimität ist uns auch ein Stück weit abhandengekommen – doch da schöpfe ich trotzdem Hoffnung, denn danach sehne ich mich. Und nicht die Nähe zu irgendeinem Körper, sondern wirklich einzig und allein zu Bengts Körper, zu seiner Wärme, seiner Weichheit und seiner Festigkeit.

Eine Phase ist per Definition begrenzt, aber ob diese hier ein absehbares Ende hat? Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass unsere Situation mäandert. Sie kam denn auch nicht über Nacht, sondern das alles hat sich durch die Hintertür eingeschlichen.

Vielleicht würde uns ein Schnitt neue Energie geben. Cut.

Die Krise als Auftakt zur Veränderung?

Die Beziehung gibt mir im Moment nicht das, was ich bräuchte. Was das wäre? Rückhalt. Ja, diesen wünsche ich mir. Und weil ich diesen nicht spüre, bin ich ernüchtert und unzufrieden, ja. Und ja, ich sehe Bengt momentan in einem mehrheitlich negativen Licht.

Ist das hier das Ende der Beziehung zwischen Bengt und mir? Klar ist, dass wir uns entfremdet haben. Wir reden kaum mehr miteinander. Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse – abgesehen von den materiellen – kennen wir kaum mehr voneinander. Welche Lebensziele haben wir? Ich weiß nicht, wo Bengt hinwill. Aber ich weiß ja auch nicht, wo ich hinwill. Vielleicht müsste ich mich zuerst besser kennen, lernen, wer ich jetzt bin oder zu wem ich gerade werde, damit ich auch gegenüber Bengt wieder offener bin, ihn wirklich wahrnehmen kann als Person, ihn wieder wertschätzen kann.

Von Bengt bekomme ich zu wenig Unterstützung in dieser schwierigen Phase. Gleichzeitig kommt mir gar nicht in den Sinn, danach zu fragen, wo Bengt von mir Unterstützung bräuchte – im Moment gar nicht daran zu denken, dass ich das einfach spüren würde, ganz ohne Worte.

In letzter Zeit habe ich aber auch den Eindruck, er verheim