: Luise Meier
: Hyphen Roman
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751810012
: 1
: CHF 17.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 303
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als es 2025 zum ersten Mal weltweit zu einem wochenlangen Stromausfall kommt, bricht, wider Erwarten, keine Panik aus. Und selbst als Stromnetze und Lieferketten, Geldströme und das Internet endgültig zusammenbrechen, bedeutet es nicht den Untergang der Zivilisation. Stattdessen beginnt für die Menschen in Luise Meiers facettenreich erzähltem Roman Hyphen die aus der Not geborene Suche nach anderen, auch nichtmenschlichen Beziehungsweisen, die ein gemeinsames Überleben und Füreinander-Sorgen ermöglichen. Da ist etwa Anne, die versucht, den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten, ihr fünfzehnjähriger Sohn Tomasz, der plötzlich die Wirkmacht der Natur zu sehen lernt, oder Maja, die über all das für die ständig wachsende, den Globus umspannende Enzyklopädie Protokoll führt. Pilzfäden gleich legt Luise Meier Biografien, Erfahrungen, Träume und Wünsche aus, verwebt sie mit nichtrealisierten Zukünften und offenbart: Die Welt, sie geht nicht unter - sie entsteht vielmehr neu, in radikaler, allumfassender Verbundenheit.

Luise Meier, 1985 geboren in Ostberlin, arbeitet als freie Autorin, Theatermacherin und Servicekraft. Studium der Philosophie, Sozial- und Kulturanthropologie und Kulturwissenschaften in Berlin, Frankfurt a. d. Oder und Aarhus. Ihre Texte für die Berliner Volksbühne sind unter www.volksbuehne.adk.de archiviert.

I


Nr.0020000957925728827968114367-2032

Datum des Eintrags: 04-07-2032

Eintrag von: Henning Feldmann, Isa Borg

Typ: Protokoll

Ort: Rothwald, Vorpommern, Deutschland

Ursprüngliche Quelle: Henning Feldmann, Isa Borg

Übersetzung: keine

Übergabeprotokoll4. Juli2032, Rothwald

Wir, Isa und Henning, haben uns der Protokollaufgabe sporadisch seit dem Januar 2028 und in systematischer Form seit dem Dezember 2028 angenommen.1 Wie von einigen Initiativen der Enzyklopädie vorgeschlagen, gehen wir dieses Jahr auf Wanderschaft und hoffen, die anderen Gemeinschaften, die wir bereisen werden, mit unseren Erfahrungen bereichern und von ihnen lernen zu können.

Die Gemeinschaft Rothwald hat auf die ersten Stromausfälle in den Jahren 2025 und 2026 mit der Entwicklung von Notfallstrukturen reagiert, die uns Nachbar*innen viele, wenn auch zum Teil noch vereinzelte Erfahrungen in der schnellen, gemeinsamen und solidarischen Kooperation und Koordination gebracht haben. Mittlerweile haben die Dörfer einen Großteil der Häuser in funktionales Wohnen überführt. Häuser mit autarker Stromversorgung sind den Küchen und der Lebensmittel- und Medikamentenlagerung sowie den Wäschereien, Werkstätten, Computerarbeitsplätzen und der Druckerei vorbehalten. Die größte Herausforderung war und bleibt jedoch die Sicherstellung der landwirtschaftlichen Produktion und die Versorgung der Nachbar*innen mit medizinischen und Pflegebedarfen.

Nach dem Sterben großer Teile des Milchviehbestands im Gemeindeteil Rothwald-Vorbau im Zuge des ersten länger anhaltenden Stromausfalls 2025 haben sich beim nächsten Notfall Anfang 2026, während dem der Betrieb vergemeinschaftet wurde, bereits über fünfzig Freiwillige in der Milchviehzucht eingefunden, die Wasserversorgung sichergestellt, ausgemistet und per Hand gemolken oder Milch, für die keine Kühlmöglichkeit bestand, ausgefahren und ausgegeben und zu Trockenmilch oder Käse verarbeitet. Seitdem hat sich die Milchviehzahl erheblich reduziert, sodass mittlerweile nur noch dreißig Menschen dauerhaft, im Notfall bis zu sechzig Menschen abwechselnd, in die Milchviehhaltung eingebunden, dafür aber keine Notschlachtungen mehr nötig sind. Im Sommer 2028 konnte darüber hinaus erstmals eine mechanische Melkmaschine mit Pedalenbetrieb eingesetzt werden, die die Arbeit auch ohne Strom erheblich erleichtert und den Kreis derer, die eingewechselt werden können, entscheidend vergrößert. Die Tiere selbst haben auf die traumatischen Ereignisse mit der Reduktion der Milchproduktion reagiert.

In den letzten fünf Jahren sind insgesamt achtundsechzig Personen zugezogen, vor allem Familien mit Kindern und alte Menschen mit besonderen medizinischen Bedürfnissen, insbesondere aufgrund von Atemwegserkrankungen. Für pflegebedürftige Personen wurden bereits nach dem Stromausfall 2025 Sorgenetze von bis zu drei Nachbar*innen aufgebaut, die die Notfallversorgung schnell, ausreichend informiert und also vorbereitet übernehmen können.