: Steven E. Aschheim
: Zwischen Kultur und Katastrophe Konfrontation, Krise und Kreativität als deutsch-jüdische Erfahrung
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863936587
: 1
: CHF 11.70
:
: Geschichte
: German
: 266
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieser Band versammelt die wichtigsten ideen- und kulturhistorischen Studien des Historikers Steven E. Aschheim. Sie reichen von den Erfahrungen in den ostjüdischen Schtetl über den Zionismus als Befreiungsbewegung, die ikonischen jüdischen Intellektuellen (Adorno/Horkheimer, Benjamin, Strauss u. a.) bis zum Umgang mit der Shoa: Assimilation, Selbstbehauptung und Ausgrenzung prägten die deutsch-jüdische Erfahrung zwischen kulturellem Glanz und dem Abgrund der Katastrophe. In seinen fein gearbeiteten Essays vermag Aschheim immer wieder auch die Bezüge zur Gegenwart herzustellen - zur Präsenz des Antisemitismus und zur Relevanz deutsch-jüdischer Geistestraditionen. Im Rückblick auf sein umfangreiches Werk als Historiker wird deutlich, dass Aschheim immer auch der Fragilität jüdischen Lebens nachspürt, dessen Bedrohung nach dem 7. Oktober 2023 eine ganz neue Dimension erreicht hat. Der Ton moralischer Empörung ist ihm jedoch fremd. Stattdessen möchte Steven E. Aschheim verstehen, um im Sinne historischer Aufklärung die Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte in den deutsch-jüdischen Konfrontationen und kreativen Symbiosen kenntlich zu machen.

Steven E. Aschheim, geb. 1942, Historiker und emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem. Forschungen auf den Gebieten der Intellektuellengeschichte sowie der modernen deutschen und jüdischen Geschichte. Er war Inhaber zahlreicher Gastprofessuren an renommierten amerikanischen und europäischen Universitäten. 2023 erschien in der Europäischen Verlagsanstalt sein Buch 'Scholem, Arendt, Klemperer. Deutsch-jüdische Identität in Krisenzeiten'.

Einleitung


Der vorliegende Band bietet eine mehr oder weniger repräsentative Auswahl meiner Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen den 1980er Jahren und dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. In vieler Hinsicht spiegeln diese Aufsätze – wie nicht selten in der Zeitgeschichtsschreibung – biographische Umstände, Interesse und Probleme wider, die mein Leben geprägt haben. Wie das Nachwort,Von subtilen kritischen Prägungen. Erinnerungen an eine deutsch-jüdische Kindheit in Südafrika, zu zeigen versucht, war ich mir von frühester Kindheit an bewusst, dass meine Eltern Mitte der 1930er Jahre Nazideutschland als deutsch-jüdische Flüchtlinge verlassen hatten und ihre Geschichten – wenngleich sie sich nie als Überlebende darstellten und wohl auch nie so empfanden – von jener Katastrophe umwoben waren, die später als Shoah bekannt wurde. Seither haben mich der Charakter, die Unbegreiflichkeit und schließlich auch die Instrumentalisierungsversuche dieser Katastrophe umgetrieben. Auf die eine oder andere Weise widmen sich eigentlich alle Kapitel dieses Buchs den vielfältigen Fragen, die dadurch ebenso kontinuierlich wie kontrovers aufgeworfen werden.

Gleichzeitig verkörperten meine Eltern trotz ihrer Loslösung viel von einer Kultur, die sich sehr von der südafrikanischen Umwelt unterschied und die mich verzauberte. Die Liebe meines Vaters zu deutschen Tenören steckte mich an und ich war fasziniert davon, wie er unzählige deutsche Gedichte rezitieren konnte. Obwohl meine Eltern gewiss nicht zum Bildungsbürgertum gehörten, waren sie, wie viele deutsche Juden, von seinen ästhetischen und schöpferischen Werten geprägt, aber auch von seinen Fehleinschätzungen und Vorurteilen. Es war mir lange nicht bewusst, in welcher Weise mein akademischer Lebensweg auch dadurch geprägt wurde, ihr Leben zurückzuverfolgen und damit die intrikaten Dimensionen der vielfältigen, enthusiastischen und zugleich konflikteichen Versuche moderner deutscher Juden nachzuvollziehen, Teil und vielleicht auch Mitgestalter der deutschen Kultur zu werden.

Kapitel 1,Spiegelbild, Projektion, Zerrbild, präsentiert einige der frühesten Früchte dieses kontinuierlichen Unterfangens. Das Werk, das diesem Kapitel zugrunde liegt, erkundet die unzähligen Arten, auf denen der traditionelleOstjude als reale Figur wie auch als wechselnder Archetyp in der allgemeinen deutschen Gesellschaft betrachtet wurde (schicksalhaft oft als Objekt eines spezifischen Antisemitismus). Insbesondere fungierte er, die Kreatur des dunklen Ghettos, als grundlegende Kontrastfolie eines dezidiertdeutsch-jüdischen Selbstbewusstseins.1 Dabei entwirre ich nicht nur das komplexe Kaleidoskop von (meist negativen oder zumindest ambivalenten) Stereotypen und Narrativen, sondern dokumentiere auch die Inversion, die sie durch junge Intellektuelle wie Martin Buber, Franz Rosenzweig, Franz Kafka und Gershom Scholem im frühen 20. Jahrhundert erfuhren. Ihnen galt derOstjude als jüdischer Kulturheld, als Gegensatz zur rückgratlosen bürgerlichen Assimilation, als Verkörperung einer fortlaufenden Tradition und als authentisches Medium einer erhofften jüdischen Renaissance. (In Klammern sei bemerkt, dass jene Studie zwar einige Resonanz erzielte, aber nicht ins Deutsche übersetzt wurde, wenngleich bei ihrem Erscheinen im Jahr 1982 eine deutsche Ausgabe angedacht war. Ich hörte seinerzeit, die Veröffentlichung negativer Meinungen von Juden über andere Juden sei in Deutschland ein zu sensibles Thema. Man kann nur hoffen, dass sich die Situation inzwischen verbessert hat.)

Diese Interessen führten mich beinahe nahtlos auf die großen Schöpfungen und inneren Kämpfe deutsch-jüdischer Intellektueller im 19. und 20. Jahrhundert hin. Ihr explosiver Zusammenstoß mit der europäischen und deutschen Kultur trieb erstaunliche, wenn auch mitunter schmerzvolle Blüten aus sich hervor. Dies galt insbesondere für die jüdisc