IDer Morgen
Es war ein kalter Morgen mit feuchtem Schnee. Zu beiden Seiten der belebten Straße ragten wuchtige Gebäude auf, deren geschlossene Tore den beginnenden Tag noch grauer erscheinen ließen.
Mark-Alem knöpfte seinen Mantel bis ganz oben zu, so daß der Kragenknopf ihm auf den Kehlkopf drückte. Er schaute auf die von spärlichen Schneeflocken umtanzten eisernen Straßenlaternen, und neuerlich überlief ihn ein Frösteln.
Wie immer um diese Stunde waren die Straßen vor allem von Beamten der obersten Reichsbehörden bevölkert, die zum Dienst eilten. Mark-Alem stellte sich zum wiederholten Mal die Frage, ob er nicht besser eine Droschke genommen hätte, denn zum Tabir Saray war es weiter als gedacht. Außerdem konnte man in diesem matschigen Schnee leicht ausrutschen.
Er kam an der Zentralbank vorüber. Vor einem weiteren vierstöckigen Gebäude, irgendeinem Ministerium, stand eine ganze Reihe reifbedeckter Kutschen. Auf dem Gehsteig rutschte jemand aus. Mark-Alem beobachtete, wie der Mann ins Straucheln kam, aber immerhin vermeiden konnte, der Länge nach hinzuschlagen. Sogleich stand er wieder auf und betrachtete, vor sich hin schimpfend, abwechselnd seine beschmutzte Kleidung und die Stelle, an der er ausgeglitten war. Dann ging er wütend weiter. Vorsicht! dachte Mark-Alem und wußte nicht genau, wen er damit meinte, den Unbekannten oder sich selbst.
Eigentlich hatte er keinen Anlaß, sich zu beunruhigen, denn er war auf keine bestimmte Zeit bestellt und wußte gar nicht, ob man so früh am Morgen überhaupt schon mit ihm rechnete. Im Grunde, das wurde ihm plötzlich klar, hatte er nicht die geringste Ahnung von den Gepflogenheiten und Dienstzeiten im Tabir Saray.
Er wurde das Gefühl nicht los, daß auf seinem Gesicht noch immer das unsichere Lächeln lag, mit dem er heute morgen wahrscheinlich bereits erwacht war. Rascher als sonst war er aus dem Bett aufgestanden, denn immerhin wartete der Tabir Saray auf ihn, jene allbekannte Behörde, die mit dem Schlaf und den Träumen befaßt war, und das hätte vermutlich auch bei jedem anderen an seiner Stelle nicht bloß Unsicherheit, sondern auch ein solches Lächeln hervorgerufen. Wahrscheinlich war dies die letzte Nacht gewesen, in der er sich eines normalen menschlichen Schlafes hatte erfreuen dürfen. Von nun an würde sich sein Leben ändern. Obwohl das alles recht merkwürdig anmutete, war ihm für ein echtes Lächeln zu bange ums Herz.
Zu seiner Linken schlug im Nebel mit eigentümlich bronzenem Klang eine Uhr. Er ging schneller. Obwohl der Pelzkragen seines Mantels bereits hochgeklappt war, vollführte seine Hand noch einmal die Bewegung des Hochstellens. Es fror ihn nicht nur am Hals, sondern auch in der Rippengegend. Mit einem raschen Griff in die Brusttasche überzeugte er sich davon, daß er sein Empfehlungsschreiben dabeihatte.
Die Zahl der Passanten auf der Straße hatte unterdessen erkennbar abgenommen. Alle Beamten sitzen wahrscheinlich längst an ihren Schreibtischen, dachte er erschrocken. Dann fiel ihm ein, daß er ja noch gar kein Beamter war, und er beruhigte sich wieder.
In der Ferne meinte er einen der Seitenflügel des Tabir Saray auszumachen, und beim Näherkommen stellte er fest, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er war es wirklich, mit seinen in einer fahlen Farbe getünchten Giebeln, die einst ein helles Blaugrün gewesen sein mochte.
Mark-Alem umrundete einen fast verwaisten Platz, an dem sich eine Moschee mit zwei seltsam dünnen Minaretten erhob. Die beiden Seitentrakte des mächtigen Gebäudes waren im Schneetreiben kaum zu erkennen. Der mittlere Teil wich nach hinten zurück. Mark-Alems Beklommenheit wuchs. Er sah eine lange Reihe gleichmäßig dimensionierter P