1. Einleitung
Das Werk der amerikanischen Politiktheoretikerin Judith Nisse Shklar erscheint heute aktueller als bei ihrem Tod vor drei Jahrzehnten. Im September 1992, als Shklar wenige Tage vor ihrem 65. Geburtstag einem Herzinfarkt erlag, war der Kalte Krieg bereits an ein Ende gekommen, die ehemals mächtige UdSSR in fünfzehn unabhängige Staaten zerfallen und die DDR in der Bundesrepublik aufgegangen. Shklar bekam es noch mit: Der westliche Liberalismus hatte ganz offensichtlich triumphiert. Der Einzug der Marktwirtschaft und demokratische Reformen in Osteuropa würden den Kontinent freier und friedlicher machen, war die Hoffnung vieler westlicher Kommentator:innen. Mit ihrer charakteristisch skeptischen Haltung und der steten Mahnung, sich weder von offenbaren Fortschritten zu hoffnungsvoll stimmen zu lassen, noch die immerwährende Gefahr von Furcht, Grausamkeit und Unterdrückung zu vergessen, schien Shklar damals wie aus der Zeit gefallen.
Heute, dreißig Jahre später, ist die Situation eine völlig andere. Statt dem endgültigen Sieg des Liberalismus sehen wir einer erneuten Systemkonkurrenz entgegen. Die Hoffnung, dass sich in Europa und der Welt nun Frieden ausbreiten würde, ist enttäuscht worden. Bewaffnete Konflikte nehmen weltweit erneut zu und in der Ukraine findet „vor unserer Haustür“ ein Angriffskrieg statt. Die Mobilisierungserfolge populistischer Parteien und Politiker:innen in den USA und Europa haben die liberale Demokratie in den letzten Jahren eher als abgewirtschaftetes Modell denn als zukunftsfähiges System abgestempelt und ihr explizit die Drohung einer „illiberalen Demokratie“ entgegengesetzt. Und auch hierzulande wächst die Zahl jener stetig, die mit autoritären, nationalistischen und rechtsextremen, mit dezidiert antiliberalen Positionen liebäugeln.
Dass liberale Politik und liberales politisches Denken, sollten sie denn kein „Ende der Geschichte“ zeitigen, auch nur wünschenswert wären, ist heute umstrittener denn je. Im traditionalistischen Spektrum wird der Liberalismus eher als Dekadenzerscheinung betrachtet – sei es als angebliche Lizenz zur egozentrischen Nabelschau diverser Minderheiten oder als Mob gewordene Vollstrecker einer twitternden „Cancel Culture“. Dass sich auch Liberalkonservative dieser Kritik anschließen, zeigt zudem, wie unklar es ist, ob esden Liberalismus überhaupt gibt. Von links wird er, gern mit dem angehefteten Präfix „Neo-“, des Übels eines in die Verästelung aller Lebens-, Arbeits-, und Beziehungsbereiche vordringenden Kapitalismus bezichtigt oder als politisch zahnloser Qu