: Wolfgang Kraushaar
: Israel: Hamas - Gaza - Palästina Über einen scheinbar unlösbaren Konflikt
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863936563
: 1
: CHF 9.00
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: Politik
: German
: 218
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als die Hamas am 7. Oktober 2023 über 1200 Israeli ermordete, war auf einen Schlag der von den Nazis verübte eliminatorische Antisemitismus zurückgekehrt. Und das ausgerechnet auf dem Boden jenes Staates, der seiner Bevölkerung eine existentielle Sicherheitsgarantie gegeben hatte. Als Reaktion auf den Überfall ordnete die Regierung Netanyahu an, den Aggressor auszuschalten. Da sich dieser aber im Gaza-Streifen versteckt hielt, kam es dabei zu einer enorm hohen Zahl an Opfern unter den palästinensischen Zivilisten. Die Bilder, die seitdem um die Welt gehen, führten zu einem Aufflammen des Antisemitismus in einem kaum noch für möglich gehaltenen Ausmaß. Begleitet werden diese Reaktionen von uferlosen Debatten, die häufig affektbesetzt und von einer Begriffsverwirrung erheblichen Ausmaßes gezeichnet sind. Wolfgang Kraushaar unternimmt es, die altbekannten, häufig antisemitismusverdächtigen Stereotypen von triftigen Argumenten zu trennen. Dabei geht es ihm nicht - jedenfalls nicht primär - um historische Rekonstruktionen, sondern darum, das diskursive Feld von Topoi, Narrativen und Metadebatten nach Maßgabe einer Unterscheidung zwischen den zivilisatorischen Minimalbedingungen auf der einen und der Präzisierung und Ausdifferenzierung der Problem- und Grenzfälle auf der anderen Seite zu ordnen.

Wolfgang Kraushaar, geb. 1948, promovierter Politikwissenschaftler, arbeitete von 1987 bis 2014 am Hamburger Institut für Sozialforschung und von 2014 bis 2023 an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Seine Forschungsschwerpunkte sind Protestbewegungen und der linke Terrorismus. Zu seinen Standardwerken zählen 'Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus' (2005), 'Die RAF und der linke Terrorismus' (2006) sowie 'Die 68er-Bewegung International' (2018). Zuletzt erschien: 'Keine falsche Toleranz!' (2022) in der Europäischen Verlagsanstalt.

3.Wie wurde darauf reagiert?


Am Tag darauf, am Sonntag, wurde in Israel zum ersten Mal nach einem halben Jahrhundert erneut der Kriegszustand ausgerufen. Einen weiteren Tag später ordnete Verteidigungsminister Yoav Gallant die komplette Belagerung des Gaza-Streifens an. Zugleich gab er bekannt: „Kein Strom, kein Essen, kein Sprit, alles ist abgeriegelt.“ Das klang ganz so, als sollten die dort lebenden Menschen unterschiedslos von allem abgeschnitten werden, was sie zum Leben benötigten. Und dann spitzte er seine Aussage noch einmal weiter zu, indem er voller Verachtung ausrief: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“1 Und das alles pauschal gegenüber den palästinensischen Bewohnern insgesamt, ohne irgendeine Begrenzung auf die Hamas. Das war ein Akt der rhetorischen Dehumanisierung.

DerHaaretz-Kolumnist Gideon Levy kommentierte das mit den Worten: „Wenn ganz Gaza Hamas ist, wenn alle Terroristen sind, und keiner von ihnen als Mensch betrachtet wird, ist das immer der erste Schritt, um das Gewissen auszuschalten.“2 Es war jedenfalls ein fatales Signal. Die anschließend mehrfach zu hörende Berufung auf „das humanitäre Völkerrecht“ beim militärischen Vordringen klang in einem solchen Zusammenhang nur noch wie blanker Hohn. Auf Gallants Worte ließe sich erwidern, was das Gerede von der Humanität überhaupt noch solle, wenn man „gegen menschliche Tiere“ kämpfe.

Zwei Tage später bildete Ministerpräsident Netanyahu sein Kriegskabinett, in dem Gallant zusammen mit Benny Gantz, Ron Dermer und Gadi Eizenkot vertreten war. Als seine beiden Hauptziele deklarierte der Regierungschef die Auslöschung der terroristischen Hamas und die Befreiung der von ihr verschleppten Opfer. Wie es allerdings gelingen sollte, Geiseln freizubekommen und die Geiselnehmer gleichzeitig zu eliminieren, blieb sein Geheimnis.

Als erstes wurde der Gaza-Streifen vollständig abgeriegelt. Nicht nur, dass sämtliche Grenzübergänge geschlossen wurden und damit auf einen Schlag jene Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich in Israel als Arbeitskräfte verdingt hatten, ausgesperrt waren. Weder kamen diejenigen, die tags hinüberwollten, hinaus, noch diejenigen, die wieder zu ihren Familien wollten, zurück. S