2. Beschränkung auf das deutsche Recht heute und 1933–1945
Zunächst erscheint es logischer, die Rechtsordnung in den Harry-Potter-Büchern mit dem in englischsprachigen Ländern vorherrschenden sog.CommonLaw20 zu vergleichen, da Harry in einer Vorstadt Londons aufwächst und die ZaubererschuleHogwarts in Schottland liegt.21 Doch dieser Schluss ist nicht zwingend. Da die Rechtsordnung in den Harry-Potter-Büchern komplett fiktiv ist, ist es ebenfalls legitim, einen Vergleich mit dem deutschen Recht anzustellen. Zwar stammt die Autorin aus Großbritannien und die Bücher spielen auch dort, es ist jedoch an keiner Stelle erkennbar, dass sich Rowling am tatsächlich existierenden englischen Recht orientiert hat. Nicht einmal das politische System der Zaubererwelt gleicht demjenigen in Großbritannien (dem sog.Westminster-System22). So gibt es in den Harry-Potter-Büchern zwar ein Zaubereiministerium und einen Zaubereiminister, eine (parlamentarische) Monarchie wie in Großbritannien ist der Zaubererwelt jedoch fremd. Das zeigt sich am deutlichsten am Fehlen eines magischen Monarchen.
Auch das Justizsystem innerhalb der Bücher lässt keine ausschließlich für England typischen Rechtsabläufe erkennen. Es fehlen sogar für das anglo-amerikanische Recht zentrale Elemente. Zunächst lassen sich in den Harry-Potter-Büchern keine eindeutigen Hinweise auf dasCommon Law finden. Es ist nicht ersichtlich, ob das magische Recht seinen Ursprung darin oder seine Wurzeln – wie andere europäische Rechtsordnungen – im römischen Recht hat.
Während das deutsche Recht auf einem römisch-germanischen Rechtskreis beruht und Recht durch einen unabhängigen Richter sprechen lässt(Civil Law), beruht das englische Recht auf demCommon Law, das sich nicht auf Gesetze, sondern auf frühere Rechtsprechung in Form von Präzedenzfällen(Case Law) stützt.23 Darauf, dass alte Rechtsfälle für die Rechtsfindung herangezogen werden, wird in den Büchern nur an einer Stelle eingegangen. Bei der Hinrichtung des HippogreifenSeidenschnabel (siehe S. 113f., 289f.).24 DerAusschuss für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe handelt dann aber nicht nach den gefundenen Fällen, sondern entscheidet willkürlich im Einzelfall.25
Der Nutzerskiplives äußert auf einer Harry-Potter-Fanseite im Internet die Meinung, dass es in der magischen Welt genauso wie in Großbritannien keine Verfassung gibt: „There does not appear to be a central document codifying the Wizarding World’s fundamental concepts of law. Rather like the Muggle United Kingdom, the Wizarding World appears to have several major treaties and laws that act as an informal framework.“26 Das Problem: Da die Geschichte aus der Perspektive eines rechtlich nicht gebildeten Schülers erzählt wird, kann aus der bloßen Nichterwähnung einer magischen Verfassung nicht auf deren Nichtexistenz geschlossen werden. Vielmehr ist es so, dass jeweils nur die Gesetze erwähnt werden, die für Harrys persönliche Geschichte von Bedeutung sind. Beispielsweise das„Internationale Geheimhaltungsabkommen“27 und der„Erlass zur vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger“.28 Die Existenz einer magischen Verfassung ist daher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Die in Großbritannien existierende Trennung zwischen demSupreme Court (Verfassungsgericht29), demCourt of Appeal (Berufungsgericht30), demHigh Court of Justice (Oberstes Zivilgericht31) und demCrown Court (Strafgerichtshof32) findet keine Entsprechung in den Harry-Potter-Büchern. Hier gibt es als einziges Gericht den sogenanntenZaubergamot und eventuell eine besondere Jury-Besetzung, den sog.Rat für das Magische Gesetz (siehe S. 109ff., 158f., 380).33 Umgekehrt hat das magische Recht damit aber natürlich auch keine Ähnlichkeit zu unserer deutschen Gerichtsstruktur oder unserem Instanzenzug.
An dieser Stelle wird es etwas komplizierter. Denn einige englischsprachige Fans haben die Theorie aufgestellt, dass der Zaubergamot dem britischenHouse of Lords entspricht. Das House of Lords ist dasOberhaus des britischen Parlaments, das außerdem noch aus einem gewähltenUnterhaus (House of Commons) besteht. Die weltlichen Lords werden im Gegensatz zu den geistlichen Lords durch den Monarchen auf Vorschlag auf Lebenszeit ernannt. Als Teil der Legislative kann das House of Lords Gesetze überprüfen, hat jedoch weniger Kompetenzen als das House of Commons.34 Das House of Lords verfügte früher außerdem