Kapitel 1
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Rachel.
»Mhm mhm.« Liz brummte und lächelte immer noch.
»Es ist also okay, dass du vorläufig in unserem Gästeapartment wohnst und dir später selbst was anderes suchst?« Rachel knuffte sie in die Seite.
»Natürlich. Ich hatte nur fast vergessen, wie wunderschön es hier ist.« Liz blickte zu den farbenfrohen Holzhäusern mit ihren Veranden, die sich links und rechts der Straße wie Perlen an einer Schnur reihten und konnte nicht anders, als sich an allem satt zu sehen.
Sie lauschte weiter Rachels unbeschwerter Plauderei.
»Robert ist sehr neugierig, dich kennenzulernen. Ich habe ihm schon viel von dir erzählt. Wie ich mich freue, Liz, dass du wieder da bist. Es wird hier nicht so hektisch sein wie in der Notaufnahme in Houston. Das liegt mit Sicherheit an unserer guten Seeluft, glaub mir. Hat schon meine Großmutter immer behauptet und die musste es wissen.«
»Sie hat diesen Ort nämlich nie verlassen und wurde – lass mich überlegen, 98 Jahre alt«, fügte Elizabeth lachend hinzu.
Rachel linste in den Rückspiegel. »Sechsundneunzig – und sie hatte völlig recht.«
Sie fuhren noch ein Stück die Mainstreet entlang, vorbei an Belles Tanzstudio und Marthas Pub. Von weitem sah Liz die bunten Quilts auf der Veranda vor Noras Quiltladen aufblitzen, bis Rachel um die Ecke und kurz darauf in eine gepflasterte Einfahrt bog und anhielt. »Wir sind da.«
Liz stieg aus dem Jeep, streckte sich, hörte Möwen kreischen und besah sich das hellgrau gestrichene zweistöckige Haus mit dem Erker und den dunklen Fensterläden.
Drinnen war es sehr geräumig, mit ausreichend Platz für eine große Familie. Immerhin war ihre Freundin längst Mutter von drei kleinen Mädchen. Die riesigen Fenster im Wohnzimmer ließen viel Licht herein, das gerade auf den Quiltständer in der Ecke neben dem Kamin traf und die eingespannte Arbeit aus Batikstoffen zum Leuchten brachte. Erstaunlich, dass Rachel trotz Job und Kindern noch die Zeit für ihr Hobby fand. Sie führten ihren Rundgang durch das Haus weiter. Überall hingen oder lagen Quilts.
»Kann irgendjemand tatsächlich damit aufhören? Du musst unbedingt zum monatlichen Treffen unserer Quiltgruppe mitkommen.« Rachel besaß also noch immer die Fähigkeit in Elizabeths Gedanken zu lesen.
»Ich fürchte, es ist viel zu lange her. Wahrscheinlich weiß ich nicht mal mehr, wie es geht.« Liz berührte den Lonestarquilt an der Wand in der Diele.
»Unsinn.« Rachel schüttelte entschieden den Kopf. »Solche Dinge verlernt man nicht, ist wie Sex oder Fahrrad fahren.«
»Sag das doch gleich.«
»Einmal mit dem Patchworkvirus infiziert, wirst du es auch bleiben. Früher hast du sehr schöne Quilts genäht. Du flickst doch auch Menschen zusammen, so anders wird das nicht sein.« Rachel deutete auf die offene Küche, wo eine Flasche Wein, Gläser und Knabberzeug auf der Anrichte standen. »Robert meinte, er würde heute Abend nur stören und wir hätten sicher eine Menge zu erzählen.«
»Kluger Mann.« Liz freute sich bereits auf den Mädels Abend.
»Jetzt zeige ich dir deine Räume, pack aus oder mach, was du willst. Ich rufe dich zum Abendessen.« Rachel schnappte sich einen von Liz Koffern, stieg bereits die Treppe hoch und deutete mit dem Kinn ihr zu folgen.
Die komplette zweite Etage im Südflügel des Hauses der Gandertons, zwei Zimmer, Bad und Küche gehörten vorübergehend Elizabeth. Auf dem Doppelbett in ihrem Schlafzimmer lag ein Quilt aus karierten Stoffen, auch hier waren die Fenster großzügig dimensioniert. Als Liz hinaussah, konnte sie von ihrem Wohnzimmer aus hinter einer Reihe von Zedern das Meer erahnen. Lächelnd packte sie ihre zwei Koffer aus, inspizierte sämtliche Schränke und beschloss einen kurzen Spaziergang zu machen. Es drängte sie plötzlich alte Bekannte zu treffen.
Auf den ersten Blick hatte sich der Ort kaum verändert. Doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie Neues. Jede Menge Bänke fielen ihr auf und Geschäfte, mit hübschen Schaufenstern, die Urlauber anzogen. Neue Häuser, wie das ihrer Freundin, waren zahlreich gebaut worden. Liz kaufte sich unten an der Promenade ein Eis und setzte sich auf eine der zahlreichen Bänke. Von dort aus ließ sie St. Elwine auf sich wirken. Der übliche Kleinstadtfeierabendverkehr mischte sich mit dem Lachen von Kindern, dem Kreischen der allgegenwärtigen Möwen und dem Knattern von Schiffsmotoren. Überall wehten bunte Fähnchen im Wind, schienen die Fassaden freundlicher als vor zehn Jahren.
»Erzähl, wie geht es eigentlich Doris Ross?«, wollte Liz nach dem Abendessen als Erstes wissen.
»Oh, gut. Sie arbeitet jetzt noch für ein paar Stunden im