: Suzana Tratnik
: Die Pontonbrücke Roman
: konkursbuch
: 9783887692971
: 1
: CHF 8.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 336
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die ewige Studentin Jana lebt in den 90er Jahren in Ljubljana in Slowenien, eine Zeit des politischen Wandels. Sie hat Panikattacken. Nach einer schwierigen Trennung muss Jana sich ihren Dämonen stellen ... Das Land ist kurze Zeit zuvor unabhängig geworden, zugleich verstärken sich Hassreden gegen Minderheiten. Jana und ihre Clique leben am Rand der Gesellschaft, auch wegen ihrer sexuellen Orientierung. Ein Buch mit lebendigen und freien Beschreibungen einer wilden Zeit. Es geht um LGBT-Gemeinschaften, die junge Queer-Szene und um Drogen, Affären, Sex und Rave-Partys im Überfluss, ein Clubleben, das von Aktivismus und Rebellion geprägt war.

Suzana Tratnik, *1963, studierte Soziologie an der Universität Ljubljana und Gender-Anthropologie am Institutum Studiorum Humanitatis. Sie ist Schriftstellerin, Übersetzerin, Soziologin, Essayistin und lesbische Aktivistin mit vielen Buchveröffentlichungen. Nationaler Literaturpreis der Pre?eren-Stiftung. Die beiden Hauptthemen in Tratniks Belletristik sind die Randschicksale im zeitgenössischen Stadtleben und die Darstellung der Kindheit im Jugoslawien der 60er und 70er Jahre. Suzana Tratnik schreibt seit vielen Jahren auch Beiträge für »Mein lesbisches Auge«, zuletzt (mit historischen Fotos) ihre Kindheits- und Jugendgeschichte in »Mein lesbisches Auge 21: Herkunftsgeschichten« (Tübingen 2021) und über »Arbeit« in »Mein lesbisches Auge 22: Arbeit

2 Die verpasste Sonne


 

 

Jana trat durch eine Glastür ein, die automatisch mittels Sensoren geöffnet wird. Die Türen spüren jemanden und öffnen sich wie eine freundliche, zahnlose Kehle, damit man lautlos hineinkommt. Aber manchmal ging die Tür nicht auf, und sie knallte mit der Hand dagegen, an schlechten Tagen auch mit der Stirn. Da sie befürchtete, nicht durch die automatische Tür zu kommen, blieb sie kurz davor immer ruckartig stehen, manchmal auch schon leicht nach vorn gebeugt, als hätte sie Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Und wenn sich die Tür öffnete, stürzte sie buchstäblich in den Raum, als wäre sie in die unwirkliche Welt der Boutiquen und Dienstleistungen eines kleinen Einkaufszentrums gebeamt worden. Es roch nach Reinigungsmitteln und parfümierten Blumen, steril und freundlich. Sie nahm den abgewetzten Rucksack ab und trug ihn in der Hand, um solider und nicht wie eine abgerissene Studentin auszusehen. Aber warum sollte sie überhaupt seriös und vernünftig wirken? Wäre sie früher umsichtiger gewesen, wäre sie nicht hier gelandet.

Auf der linken Seite ein Augenarzt, dann ein Blumenladen und ein Tierfuttergeschäft. Ein Friseur und ein Uhrmacher.

Seit der Oberschule weiß sie nicht mehr genau, was das Wort »Umsicht« bedeutet.

An der rechten Ecke befindet sich ein kleines Lokal mit duftendem Kaffee. Vielleicht doch noch einen Kaffee und eine Zigarette? Vielleicht auch nicht. Gleich ist sie zu spät dran.

Ein Buchhalterbüro, ein Copyshop, ein Fotoautomat, ein Zahnarztröntgen, ein Reisebüro und dort, am Ende des glänzenden Korridors, ihr Ziel. Mindestens schon der zwanzigste Besuch bei einer erfolgreichen Frau in einem mattblauen, geschmackvollen Anzug, die ein Foto ihres Mannes in einem dünnen Silberrahmen und Kinder hat, die sie nur ab und zu erwähnt, wenn sie dezent mitteilt, dass die beiden Kleinen eine internationale, englischsprachige Grundschule besuchen. Eine internationale englischsprachige Grundschule – wenn das kein Statussymbol ist! Aber die Frau war in Ordnung, so sehr in Ordnung, wie von Ana kurz beschrieben. Sie hatte sie Jana vor etwa einem Jahr vorgeschlagen. Ana hatte sie in einer Junkie-Selbsthilfegruppe als Gasttherapeutin kennengelernt, die gerade von einer Spezialisierung im Ausland zurückgekehrt war. Sie ging regelmäßig zu ihr, auch als sie längst jede Hilfe aufgegeben hatte und sich nur noch zuknallte. Dr. Trdina-Wayle nahm sie gegen ein geringes Honorar an. Bis Ana völlig abdriftete.

»Du musst mir keine Therapeutin für Drogensüchtige vorschlagen – nicht mir. Hallo?«

Das war das Erste, was Jana vor knapp einem Jahr zu dem Vorschlag äußerte, zu Dr. Trdina-Wayle zu gehen – wenigstens einmal. Das störte Ana allerdings wenig, und sie fuhr ruhig fort: »Wenn ich ihr sage, dass du keinen festen Job hast und dein Studium abschließen willst, nimmt sie dich kostenlos auf. Weißt du, so ist sie eben. Das ist ihre Einstellung.«

»Ich möchte nicht über mein abgebrochenes Studium sprechen und noch weniger über meine Arbeitslosigkeit! Bist du verrückt? Ich will nicht mehr darüber reden! Ich bin einfach arbeitslos und damit basta.«

»Nein, du verstehst das nicht! Sie hat andere Dinge im Kopf als die saudämlichen Leute hier, bestimmt weil sie so lange in Amerika war. Letztens habe ich im Fernsehen gesehen, dass man in New York in den Knast kommt, wenn man seinen Hund in der Sonne lässt. Alte, kannst du dir vorstellen, wie es dort ist? Sogar die Tiere haben Rechte, ganz zu schweigen von den Arbeitslosen oder sogar den Junkies.«

»Okay, gib endlich Ruhe, Ana, ich gehe hin. Ich fordere meine beschissenen Rechte ein.«

Sie besuchte darauf