: Anna Lowenhaupt Tsing
: Friktionen Eine Ethnografie globaler Verflechtungen
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783751820356
: 1
: CHF 29.80
:
: Natur und Gesellschaft: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 479
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Regenwald im Meratusgebirge auf Borneo verändert seit 1970 grundlegend seine Gestalt: Holz und die natürlichen Ressourcen seiner Böden werden auf dem internationalen Markt verkauft, um Schulden zu begleichen und sich zu bereichern. Nationale und globale, individuelle und universelle Interessen überlagern sich: Korrupte Provinzbehörden machen gemeinsame Sache mit japanischen Investoren, javanesische Einwanderer verdrängen autochthone Waldbewohner. Doch auch zum Schutz des Waldes formieren sich breite Allianzen, Studenten aus der Hauptstadt treffen auf engagierte Dorfbewohner, internationale Aktivisten und Naturliebhaber. In einer atemberaubenden Szenenfolge zwischen Reportage, Feldforschungsbericht und kulturtheoretischen Überlegungen begleitet Anna Lowenhaupt Tsing die Geschehnisse und entwickelt eine einzigartige Ethnografie der Friktionen. In Borneo, an einem Ort, der beispielhaft ist für eine globalisierte Welt, offenbart sich, dass aus vielfältigen und widersprüchlichen sozialen Interaktionen, die unsere heutigen Lebensrealitäten ausmachen, ebenso zukunftsträchtige wie monströse Kulturformen entstehen können.

Anna Lowenhaupt Tsing, 1952 geboren, ist Professorin für Anthropologie an der University of California, Santa Cruz. 2013 wurde sie mit der Niels-Bohr-Professur der Aarhus University, Dänemark, für ihre interdisziplinären Beiträge zu den Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet.

Vorwort zur Ausgabe 2024


Das Dorf, das die Straße blockierte


Als ich 2022 nach fast zwei Jahrzehnten wieder in die Meratus-Berge wanderte, erwartete ich das Schlimmste. Ich hatte Fotos von Ölpalmenplantagen gesehen, die sich so weit das Auge reicht erstreckten. Ich wusste vom Vordringen des Kohlebergbaus, der ganze Dörfer verschluckt hatte. Auch als ich in Südkalimantan auf der alten holländischen Straße zu den weiter flussaufwärts gelegenen Städten fuhr, zeigte sich das gleiche Bild, bloß noch schlimmer. Kohlenstaub bedeckte die alten Häuser, nicht aber die neu errichteten glitzernden Villen der Kohlebosse dazwischen. Mein Bruder, mein Neffe bei den Meratus Dayak und ich übernachteten in der Grenzstadt am Ende der Straße, die einst ein Umsiedlerdorf war, jetzt aber noch schmutziger und krimineller wirkte, als ich sie je erlebt hatte. Ich erwartete nichts Gutes.

Am nächsten Tag brauchte ich sechzehn Stunden, um zum Dorf zu