: Theresia Töglhofer
: Tatendrang
: Residenz Verlag
: 9783701747276
: 1
: CHF 16.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Tatendran ' ist der Roman einer jungen Generation, die das vereinte Europa zu ihrer Spielwiese machen will und dabei selbst zum Spielball fragwürdiger Polit-Strategien wird. Nach dem Studium hat Hanna Fürst einen der begehrten Praktikumsplätze in der Europäischen Außenzentrale ergattert und ist fest entschlossen, diese Chance zu nutzen. Ihre 'Arbeitsgruppe Zukunft', zu der auch die NGO-Aktivist*innen Lej und Jakov gehören, bekommt die Aufgabe, die friedliche Annäherung von zwei verfeindeten Nachbarstaaten am Rande Europas zu befördern. Doch Hanna verliert sich im rasanten Arbeitstempo und in der Grauzone zwischen Intrigen und Netzwerken. Sie erliegt der Faszination der charismatischen Lej, die als Einzige einen echten Plan zu haben scheint. Als Hanna, Lej und Jakov sich dagegen wehren, von einem Krieg eingeholt zu werden, der älter ist als sie, machen sie sich nicht nur die Zentrale, sondern auch die beiden Nationalstaaten zum Feind ...

THERESIA TÖGLHOFER, geboren 1985 in Graz. Studium der Geschichte und der Internationalen Beziehungen in Graz und Paris, dann Stationen in Belgrad, Brüssel, Wien, Osijek und Berlin. Analystin für die Außen- und Erweiterungspolitik der EU. Zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, u. a. 2015 Jury-Preis für Prosa beim 23. Open Mike, 2017 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses, 2019 Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung und 2023 Shortlist des Wortmeldungen-Förderpreises. Theresia Töglhofer lebt in Berlin und in der Oststeiermark. 'Tatendrang' ist ihr erster Roman.

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Vier Monate früher

Als ich die Zentrale durch die gläserne Drehtür betrat, musste ich an das denken, was Madame Lélan gesagt hatte. Wir sollten alles vergessen, was wir je über Praktika gehört hatten. Zum Beispiel, dass es darum ginge, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Heute hatte so gut wie jede Organisation eine Drehtür am Haupteingang. Und wenn wir da den Fuß reinhielten, würde er zermalmt.

Vor mir tat sich die Eingangshalle auf, hoch, hell und kristallen. Ich kannte die Bilder aus den Abendnachrichten: die Glaswände, die in Zapfen abfielen wie ein gefrorener Wasserfall. Das Mosaik aus Keramikplatten verschiedener Farben, Formen und Größen, vor dem sich die Korrespondenten positionierten und das sich aus jedem Blickwinkel zu den Umrissen des Kontinents zusammenfügte. An den Menschen, die die Halle querten, fiel mir als Erstes ihre Geradlinigkeit auf. Es war nicht nur ihr Gang, sondern es waren auch ihre Scheitel, die Schnitte ihrer Anzüge, Kostüme und Mäntel. Plötzlich hatte ich das Gefühl, nicht stören zu wollen.

Ich drehte eine Runde in der Tür, strich mir das Haar hinter die Ohren, kontrollierte den Kragen meiner Bluse. Es wäre normal, hatte Madame Lélan in ihrem Karriere-Atelier gesagt, wenn wir uns das nicht zutrauten, besonders, wenn wir eine Frau waren. Wir durften es uns nur nicht anmerken lassen. Ich drehte eine zweite Runde. Nun sah ich auch die großen, roten Lettern über den Schaltern blinken: Young Professionals – WELCOME! Vor ihnen zog sich eine lange Menschenschlange durch die Halle, in kräftigeren Farben, knittrigeren Stoffen. In der dritten Runde befiel mich Schwindel, die Drehtür spuckte mich in das Gebäudeinnere aus. Auch jetzt, da sie nicht mehr das Tempo meiner Schritte bestimmte, war Stehenbleiben das Letzte, was ich wollte. Ich hielt auf die Schlange zu, trat in die Wolke aus Stimmen und Sprachen ein, die die Wartenden umhüllte.

– Hanna!

Cécile musste noch einmal rufen, bis ich sie entdeckte. Sie stand weiter vorne, neben ihr Andrej. Ich seufzte, lächelte, ging auf die beiden zu. Ein Arm schnellte aus der Reihe.

– Wie wär’s mit hinten anstellen?

Ich sah auf die we