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Wahrscheinlich wäre es klug gewesen, schon in den letzten Tagen vor den Sommerferien mit dem Lernen anzufangen. Dann würde ich vielleicht in den sechs Wochen nicht so viel tun müssen und eine echte Chance haben, die Nachprüfung zu schaffen. Aber ich konnte nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wären diese letzten Schultage auf einmal die eigentlichen Ferien geworden. Die letzten Tage, bevor ich für anderthalb Monate einrücken musste. Ich schob den Gedanken immer wieder beiseite. Und versuchte, möglichst viel in diese Tage zu pressen.
In der letzten Woche vor den Zeugnissen fand das Sportfest statt. Alma und ich hatten ein Transparent gebastelt und nun standen wir vor unserem Haus und warteten auf Johann. Alma saß freihändig auf dem Sattel, einen Fuß auf der Stange, lehnte mit dem Rücken an einem Laternenpfahl und hielt das Rad in der Balance, während sie sich eine Zigarette drehte. Über der Silhouette der Stadt stand die Sonne. Die Antennen waren wie aus Licht in den Himmel über den Dächern geschnitten. Über Alma wölbte sich die Krone der Kastanie im Vorgarten.
»Manchmal würde ich gerne malen können«, sagte ich.
»Wieso?«
Alma waren die Zigarettenpapierchen heruntergefallen und sie versuchte, das Heftchen wieder aufzuheben, ohne vom Rad steigen zu müssen. Es sah deutlich weniger elegant aus, als wenn sie einfach abgestiegen wäre.
»Weil ich dann malen könnte, was ich sehe.«
Alma kippte und fing sich hastig. Dann stieg sie doch ab und hob die Papierchen auf.
»Aber es ist doch sowieso da«, sagte sie einfach. »Du musst es nicht malen.«
Das stimmte. Aber das, was man sah, war nicht alles. Ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte.
»Dann müsste man allerdings auch keine Bücher schreiben und überhaupt keine Bilder malen und keine Musik machen. Es ist doch …«
Ich überlegte kurz. Alma hatte sich wieder auf ihr Fahrrad gesetzt und zündete die Zigarette an. Der Rauch zog zu mir herüber. Ich rauchte nicht, aber dieser verwehte Duft war für einen Augenblick wie eine sehnsüchtige Einladung in eine wunderbare Ferne und ich wusste auf einmal, was ich sagen wollte.
»Es ist alles da. Aber das alles hier, dieser Sommermorgen und die Blätter über dir und wie du lässig auf dem Rad sitzt und rauchst und cool aussiehst, das ist … das ist, als ob man das alles erst malen muss, damit man es in einem Moment aufnehmen kann. Damit man fühlen kann, was diesen einen besonderen Augenblick ausmacht.«
»Du musst nicht malen«, sagte Alma wieder. »Du kannst es sagen. Da kommt Johann.«
Sie deutete den Berg hinauf. An der aufgegebenen Tankstelle vorbei kam er mit fliegenden Haaren und flatternder Jacke auf uns zugerast. Er bremste ganz knapp vor uns.
»Moin,folks«, grüßte er. »Was ist das für ein Banner?«
Er deutete auf unser Transparent.
»Das wirst du sehen, wenn wir damit auf der Aschenbahn sind. Du musst die eine Stange tragen.«
Johann zupfte am Stoff. Alma hob die Stangen. Er grinste.
»So was wie: ›Dieser Sportplatz wird instand gesetzt‹?«
Alma seufzte.
»Die Ungeduld der stürmischen Jugend. Du wirst es früh genug erfahren.«
Sie stieß sich von der Laterne ab und kam langsam ins Rollen, weiter den Gehsteig hinab. Johann und ich folgten.
Auf dem Sportplatz war es schon heiß. Wir schlossen die Räder zusammen und schlenderten zur Tribüne zum Fritsch, der dort mit einem Klemmbrett stand und das Ganze überwachte. Einmal im Jahr waren die Sportlehrer die Könige. Sonst nahm sie nie jemand ernst, an unserer Schule schon gar nicht. Latein- und Griechischlehrer waren bei uns die Herrscher, dann kam erst mal lange nichts. Mo