: Ron Rash
: Der Friedhofswärter Roman
: ars vivendi
: 9783747206089
: 1
: CHF 15.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 241
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine hochatmosphärische Geschichte über Freundschaft und Verrat von »einem der besten lebenden amerikanischen Autoren« (New York Times) Blowing Rock, North Carolina, zu Beginn der 1950er Jahre. Der junge Blackburn Grant, seit seiner Kindheit von einer Polioerkrankung gezeichnet, arbeitet als einziger Friedhofswärter der kleinen Stadt in den Appalachen. Sein Leben mit den Toten passt gut zu seiner zurückhaltenden Art, und die gelegentlichen Momente des Unbehagens bringen ihn längst nicht so aus dem Konzept wie die Gespräche mit den Bewohnern der Stadt. Doch als sein einziger Freund Jacob für den Koreakrieg eingezogen wird, bekommt Blackburn die Aufgabe, sich um dessen schwangere Frau Naomi zu kümmern. Die sechzehnjährige, mittellose Naomi und Jacob sind seit ihrer Hochzeit, die gegen den Willen von Jacobs wohlhabenden Eltern vollzogen wurde, Ausgestoßene in Blowing Rock. Naomi und Blackburn kommen sich näher, und als Jacob im Krieg schwer verwundet wird, entsteht ein Plan, der das Leben von vielen Menschen erschüttern wird ...

Ron Rash, geboren 1953, ist Schriftsteller und Lyriker und veröffentlichte zahlreiche Romane und Short Storys. Er gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren und unterrichtet an der Western Carolina University.

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JACOB HATTE WACHDIENST, postiert am Ufer eines Flusses, der die beiden Armeen voneinander trennte. Die Nacht war kälter als alles, was er daheim in Watauga County je erlebt hatte. Diese Kälte kroch nicht nur unter die Haut. Sie schloss Finger und Füße wie in Eisen ein, brachte Zähne zum Klappern wie Glas kurz vor dem Zerspringen. Die Schichten von Wolle und Baumwolle, die er unter dem gefütterten Parka trug, konnten sie nicht abhalten. Seit Wochen wartete Jacob darauf, dass die Kälte aufhörte. Jetzt war es März geworden, aber dieser Ort scherte sich nicht um das, was im Kalender stand. Der Fluss war noch immer zugefroren. Jacob stellte sich vor, dass das Eis bis zum Grund hinunterreichte – ohne Strömung, die Fische unbeweglich, wie fixiert. Der Fluss hatte einen Namen, aber Jacob ließ nicht zu, dass er sich in seinem Gedächtnis festsetzte. Seit er in Pusan auf den Landungssteg getreten war, war es sein Ziel gewesen zu vergessen, nicht sich zu erinnern.

In Fort Polk hatte er alle möglichen Geschichten darüber gehört, was ihn in Korea erwartete. Vieles davon war völliger Unsinn: dass die Nordkoreaner rohe Ratten und Schlangen aßen und in der Dunkelheit sehen konnten wie Katzen. Aber es gab Geschichten, die der Wahrheit entsprachen, etwa dass sie bei Nacht in die Außenposten krochen, einem Soldaten die Kehle durchschnitten und dann wieder in der Dunkelheit verschwanden. Selbst wenn man sich auf der anderen Seite des Flusses befand, kamen sie und brachten einen einzigen Mann um, obwohl sie genauso gut drei oder vier hätten töten können. Sie hinterließen damit eine Botschaft:Dich heben wir uns für das nächste Mal auf.

Dass der Fluss gefroren war, spielte keine Rolle, das wusste Jacob. Zwei Nächte zuvor hatte ein Nordkoreaner den Wachtposten einer anderen Einheit enthauptet. Dazu war er über das Eis gekrochen. Jacob spähte in die flache, geräuschlose Schneelandschaft vor sich. Zumindest war heute Nacht Vollmond.Jägermond, so nannten sie ihn daheim. Er versilberte die Eiskristalle auf dem Fluss. Hätte er nicht das Messer eines Feindes fürchten müssen, Jacob hätte die schimmernde Schönheit dieses Augenblicks bewundert. Doch er konnte sich das nicht einmal für einen kurzen Moment erlauben. Er war entschlossen, dass Korea für ihn wie ein Haus sein würde, das er betrat und dann wieder verließ, die Tür für immer hinter sich verriegelt. Er musste nur überleben. Zwölf Tage zuvor war seine Einheit zum ersten Mal in Kampfhandlungen verwickelt gewesen. Aubert, ein Cajun aus Louisiana, war ins Bein geschossen worden. Die Kugel hatte seine Kniescheibe zertrümmert, und die Ärzte sagten, dass er den Rest seines Lebens einen Gehstock brauchen würde. Das sei kein Problem, hatte Aubert geantwortet. Er würde lebend zu seiner Frau und seinen Kindern heimkehren, und ihm würde endlich wieder warm sein.

Nach Hause kommen war das Einzige, worauf es ankam. In ihrem letzten Brief hatte Naomi geschrieben, Dr. Egan zufolge würde das Baby im Mai geboren werden. Dieser Gedanke war ein Talisman, der Jacob immer begleitete. Er konnte nicht sterben. Gott oder das Schicksal, was auch immer, hatte Naomi und ihn zu einem gemeinsamen Leben bestimmt. Wie sonst wäre dieser Abend in Blowing Rock vor zwanzig Monaten zu erklären? In genau dem Moment, in dem er amYonahlossee-Kino vorbeigegangen war, hatte Naomi, eine völlig Fremde, mit einer Münze in der H