: George Sand
: Gabriel Ein Dialogroman
: Reclam Verlag
: 9783159622804
: Reclam Taschenbuch
: 1
: CHF 7.60
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 171
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die radikale Kritik an einer diskriminierenden Gesellschaft Ein fulminanter Dialogroman über den Versuch, jenseits der binären Geschlechtergrenzen zu leben: Gabriel, Alleinerbe des Fürsten von Bramante, erfährt erst als Jugendlicher, dass er eine Frau ist - fernab von der Welt wuchs er als Junge auf, damit Titel und Vermögen nicht Gabriels Cousin zufallen. In keinem ihrer Werke hat sich George Sand so persönlich und unkonventionell mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt wie hier: Lassen sich Liebe und Emanzipation miteinander vereinbaren? Schließen Freiheit und Treue einander aus? Eine Lektüre von aktueller wie zeitloser Relevanz. George Sand gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik und lebte mit Verve gegen die Konventionen ihrer Zeit an: Sie trug oft Männerkleidung, ließ sich früh scheiden und hatte Liebesbeziehungen mit Männern und Frauen. - Mit einer kompakten Biographie der Autorin.

George Sand (1804-1876) gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik. Die Französin beteiligte sich an der 1848-Revolution, schrieb mehr als 70 Romane und Theaterstücke und war bereits als junge Frau in ganz Europa berühmt. Elsbeth Ranke, geb. 1972, übersetzt aus dem Englischen und Französischen. 2004 erhielt sie den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Walburga Hülk, geb. 1953, war Professorin für Romanische Literaturwissenschaften an der Universität Siegen.

Szene 2


DER FÜRST, DER PRÄZEPTOR

DER FÜRST. Auf ihn ist doch Verlass?

DER PRÄZEPTOR. Wie auf mich selbst, Euer Gnaden.

DER FÜRST. Und … er ist, außer Ihnen und Gabriels Amme, der Einzige, der je erfahren hat …

DER PRÄZEPTOR. Er, die Amme und ich, wir sind neben Eurer Hoheit die einzigen Menschen auf der Welt, die heute von diesem gewichtigen Geheimnis wissen.

DER FÜRST. Gewichtig! Ja, Sie haben Recht; furchtbar, entsetzlich ist dieses Geheimnis, manchmal peinigt es mir gar das Gewissen. Und sagen Sie mir, Pater, ist nie irgendein Wort zu viel …

DER PRÄZEPTOR. Nicht eines, Euer Gnaden.

DER FÜRST. Und bei den Menschen, die täglich mit ihm umgehen, ist nie irgendein Argwohn aufgekommen?

DER PRÄZEPTOR. Nie, Euer Gnaden.

DER FÜRST. So haben Sie mir also in Ihren Briefen keinen Honig um den Bart gestrichen? Alles ist die reine Wahrheit?

[9]DER PRÄZEPTOR. Eure Hoheit stehen kurz davor, sich selbst davon zu überzeugen.

DER FÜRST. Richtig! … Und das macht mich unsäglich ergriffen.

DER PRÄZEPTOR. Euer Vaterherz wird Grund zur Freude haben.

DER FÜRST. Mein Vaterherz! … Pater, überlassen wir solche Worte denen, die sie unbefangen benutzen. Wüssten sie nämlich, durch welche dreiste, ja beinahe wahnwitzige Lüge ich mir die Ruhe und Wertschätzung meiner alten Tage erkaufen musste, so würden sie mir ein schweres Vergehen zur Last legen, das weiß ich! Verwenden wir also nicht wie sie die Sprache einer engherzigen, banalen Zärtlichkeit. Meine Zuneigung zu den Kindern meines Geschlechts war ein ernsteres, ein stärkeres Gefühl.

DER PRÄZEPTOR. Ein Gefühl der Leidenschaft!

DER FÜRST. Lassen Sie das Schmeicheln, man könnte es genauso gut ein Verbrechen nennen; ich kenne den Wert der Worte und messe ihm keinerlei Bedeutung zu. Ich kenne die gemeinen Pflichten, die kindischen Sorgen, die bürgerliche Väter binden, aber darüber stehen die Ehrenpflichten, die verzehrenden Ambitionen des adligen Vaters. Mit dem Mut der Verzweiflung habe ich sie erfüllt. Ich hoffe nur, dass die Zukunft mir nicht das Gedächtnis schwächt und nicht den Stolz meines Namens hinter Verfahrens- oder Gewissensfragen zurücktreten lässt!

DER PRÄZEPTOR. Das Schicksal hat Eure Ziele bis