: Tanya Raab
: Shalom zusammen! Warum wir falsche Vorstellungen von jüdischem Leben haben und das gemeinsam ändern sollten
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426284650
: 1
: CHF 15.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jüdisches Leben abseits von Klischees: Aktivistin Tanya Raab räumt mit Vorurteilen auf 'Du siehst ja gar nicht jüdisch aus' ist ein Satz, den Tanya beim Dating schon oft gehört hat. Seitdem sie auf dem Pausenhof mitbekam, wie ein Mitschüler den anderen mit 'Du Jude' beschimpfte, beschäftigen sie viele Fragen: Was bedeutet es, jüdisch auszusehen? Gibt es so etwas überhaupt? Muss ich mich für mein Jüdischsein schämen oder darf ich stolz darauf sein? Geboren in der Ukraine, zog Tanya Raab mit 3 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. Ihre Mutter ist jüdisch, ihr Vater nicht. Über die Jahre wird ihr immer wieder geraten,diesen Teil von ihr zu verschweigen, um sich selbst zu schützen. Doch eines Tages beschließt sie, sichnicht länger zu verstecken. Ob mit Davidstern-Kette im Fitnessstudio oder Regenbogen-Kippah beim Einkaufen - die queere und feministische Aktivistin zeigt, dassjüdisches Leben anders gelebt werden kann, als man es erwartet. Selbstbewusst erzählt sie von ihrem Alltag zwischen Tradition und Moderne sowie tagtäglichen Erfahrungen mit Antisemitismus, klärt auf über weit verbreitete Stereotype und rechnet mit der deutschen Erinnerungskultur ab.  Mit Scharfsinn und Witz gibt Tanya Raab Impulse für eine Zukunft, in der Jüdinnen und Juden ein Leben ohne Angst und Vorurteile in Deutschland führen können.

Tanya Raab wurde in der Ukraine geboren und zog im Alter von drei Jahren zusammen mit ihren Eltern nach Deutschland. Seit 2019 studiert sie an der Universität Potsdam Deutsch und Russisch. Mit ihrem aktivistischen Account @oy_jewish_mamma leistet sie Aufklärungsarbeit rund um Judentum, Antisemitismus und Erinnerungskultur. Die angehende Lehrerin ist gefragte Gesprächspartnerin für TV- und Printmedien, wenn es um modernes jüdisches Leben geht.

Wer sind wir und wenn ja, wie viele?


Später recherchierte ich, dass es vor dem Holocaust mehr als560000 jüdische Menschen in Deutschland gegeben hatte. Vor dem Strom der jüdischen Kontingentflüchtlinge nach Deutschland in den1990er- und2000er-Jahren hatte es hier nur noch etwa30000 Jüd*innen gegeben. Wir können also davon ausgehen, dass es ohne die Jüd*innen aus der ehemaligen Sowjetunion quasi kein jüdisches Leben außerhalb großer Städte geben würde, denn nach wie vor machen diese90 Prozent der jüdischen Community Deutschlands aus.1

Auch ich komme aus einer solchen jüdischen Gemeinde, die vollkommen russischsprachig war und aus der Sowjetunion kam. Ich wurde am17. Februar2000 in der ukrainischen Stadt Krementschuk geboren, in genau demselben Krankenhaus wie mein Vater23 Jahre zuvor. Krementschuk ist eine Kleinstadt am rechten Ufer des Dnepr-Flusses, etwa250 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kiew.

Das erste Mal auf einer Landkarte habe ich die Stadt in der Schule im Geografieunterricht gesehen, als wir eine Wirtschaftskarte von Europa betrachteten. Krementschuk ist der Standort einer der größten Ölraffinerien der Ukraine und für kaum etwas anderes bekannt als für seine Industriegebiete. Im Juli2022 ging meine kleine Heimatstadt ganz schön durch die deutschen Schlagzeilen, als dort bei einem russischen Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum mindestens13 Menschen starben und zahlreiche weitere verletzt wurden. Mehrere meiner Angehörigen waren in dem Moment vor Ort, überlebten den Angriff aber mit leichten Verletzungen. Als Kind mochte ich dieses Einkaufszentrum namens Amstor übrigens nie, da für dessen Errichtung ein ganzer Park hatte weichen müssen. Deshalb bestand ich darauf, dass wir es boykottierten, wenn wir im Sommer zu meinen Großeltern in die Ukraine fuhren.

Ich verbrachte nur meine ersten drei Lebensjahre in Krementschuk, weswegen ich mich an nichts aus dieser Zeit erinnern kann. Wir lebten auf engstem Raum in einer Zweizimmerwohnung mit meinen Großeltern zusammen. Den Entschluss, nach Deutschland auszuwandern, fasste meine Mutter bereits Jahre vor meiner Geburt, denn in den1990er-Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Bedingungen für die Einreise nach Deutschland für jüdische Menschen sehr erleichtert.

Es gab ein sogenanntes Kontingentprogramm für jüdische Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, daher auch der Name »Kontingentflüchtlinge«.2

Schon damals sagte man scherzhaft, Deutschland wollte die »Reserven« an jüdischen Menschen nach dem Holocaust wieder auffüllen und möglichst viele jüdische Menschen nach Deutschland locken.3 Meine Uroma, die die Massenerschießungen an der Ostfront überlebt hatte, hatte bis an ihr Lebensende im stolzen Alter von102 Jahren allerdings nie verstanden, wie wir nur »zu den Faschisten« ziehen konnten.

Die erste Kindheitserinnerung, die ich an Deutschland habe, ist die an das Bällebad bei McDonald’s in Frankfurt (Oder). Wir lebten in einer Flüchtlingsunterkunft in der unmittelbaren Nachbarschaft des Fast-Food-Restaurants, nur wenige Gehminuten von der polnischen Grenze entfernt. Bereits kurz nach unserer Ankunft nahm die örtliche jüdische Gemeinde Kontakt mit uns auf. Die Mitglieder halfen uns in unserer Anfangszeit in Deutschland vor allem bei bürokratischen Fragen, für die meinen Eltern schlichtweg die Sprachkenntnisse fehlten. Bald darauf verbrachte ich schon jedes Wochenende in der Gemeinde.

Als Kind habe ich mir nie die Frage gestellt, warum wir dort immer nur russisch sprachen, es Russischunterricht gab und vor allem die älteren Gemeindemitglieder kaum Deutsch sprechen konnten. Jüdisch und russischsprachig war für mich lange Zeit untrennbar miteinander verbunden. All unsere Bekannten, die