I Transzendenz – wohin des Wegs?
Extra- und Intratranszendenz
Wer der großen Sinnfrage nachdenkt,transzendiert, das bedeutet: er überschreitet die Grenzen oder verlässt den Boden seiner Erfahrungswelt. Er sucht – weiterhin bildlich gesprochen – Höhe oder Tiefe zu gewinnen; er fliegt nach oben, dem Himmel zu, oder bohrt in die Tiefen seines Inneren. Doch da jede Frage nach einer Antwort sucht, kann es nicht beim transzendierenden Fragen nach Sinn bleiben. Der Akt des Fragens ist auf den Gewinn von Sinn ausgerichtet, einen Sinn, der nicht im Akt des Fragens bestehen kann, sondern sich im Akt als ein Transzendentes erschließen soll. Wie immer man dieses Transzendente philosophisch fasst – als Gott, als das Eine und Höchste, als das Sein selbst –, es bleibt umgekehrt aufs engste ans Transzendieren gebunden, die Verbürgung von Sinn an die Frage nach dem Sinn. Im 3. nachchristlichen Jahrhundert ordnet der Philosoph Plotin, ein eminenter Denker der Transzendenz avant la lettre, beispielhaft dem Einen und Höchsten die ekstatisch-punktuelle Erfahrung eines «geistigen Berührens» zu, eines augenblicklichen Sehens, «wo die Seele jählings von Licht erfüllt wird».1
Das Transzendieren im Verfolg der großen Sinnfrage besteht in einem radikalen Hinaus- bzw. Hineingehen, das sowohl alle weltliche Wirklichkeit wie auch die gängigen Weisen der Welthabe und Wirklichkeitserfassung übersteigt. Überstiegen wird das Diesseits auf einen wesensverschiedenen Bereich hin. Die «transzendentale»Grenze trennt nicht bloß Verschiedenes, sondern Verschiedenartiges: das Undenkbare und Unsagbare vom Denk- und Sagbaren, das Unendliche vom Endlichen, das Sein vom Seienden, den Grund von den Gründen, das umfassende Ganze vom Teilhaften. Anschaulich formuliert zielt der Transzendenzgedanke auf eine in räumlichem Sinne über oder jenseits der Welt liegende Wirklichkeit, eine andere, «höhere» Welt. Das bezeugen jene Gottes- oder Weltbilder, die eine schlechthin weltjenseitige Gottheit kennen, und ebenso die Mythenkritik, die dem Glauben an weltimmanente Götter entgegentritt. Eine Transzendenznach innen, in den menschlichen «Seelengrund», lässt sich demgegenüber nicht in ein Bild bringen; die Rede von Transzendenz ist hier nur metaphorisch zu lesen, wie ja auch die von einer Transzendenz im wörtlichen Sinne des räumlichen über etwas hinaus für den Philosophen immer eine metaphorische war. Nach innen zu transzendieren heißt nicht, eine diesseitige Sphäre der Immanenz der jenseitigen der Transzendenz vorzuziehen. Es geht bei der Intratranszendenz vielmehr wie bei der «(Extra-)Transzendenz» um eine Bewegung: Auch in der Innenrichtung wird eine Grenze überschritten; spekulativer formuliert: das innerlichere transcendens liegt über das (seelische) Innere hinaus.
Augustinus verknüpft in einem Bericht über eine Vision ewigen Lebens, die er gemeinsam mit seiner Mutter hatte, den Weg von Extra- und Intratranszendenz aufs eindrücklichste:
[...] da erhoben wir uns mit heißer Inbrunst nach ‘jenem Selben’ [Gott] und durchwanderten stufenweise die ganze Körperwelt, auch den Himmel, von dem herab Sonne, Mond und Sterne leuchten über di