Prolog
APRIL 1816
REDCLIFFEHALL,CLEVELAND
Jeder, der Caro – Caroline Foyle – als junges Mädchen kennenlernte, erkannte eines sofort: Sie war zu Höherem bestimmt. Natürlich nicht wirklich sie selbst als Person (sie war ja schließlich nur ein Mädchen), aber sie würde auf jeden Fall die Gefährtin eines einflussreichen Ehegatten werden. Ihre Gutmütigkeit, ihre vielseitige Begabung, ihre Gefälligkeit, vor allem natürlich ihre außergewöhnliche Schönheit ließen erwarten, dass sie eine glänzende, vielleicht sogar eine grandiose Partie machen würde. Die Tatsache, dass sie offenbar kaum von klaren eigenen Meinungen oder gar von irgendwelchen persönlichen Interessen belastet war, sprach ebenfalls dafür. In anderen Worten: Kurz vor Beginn der Londoner Ballsaison war Caro eine Debütantin wie aus dem Bilderbuch.
So sicher waren sich alle in ihrem Glauben an Caros leuchtende Zukunft, dass ihr selbst niemals die geringsten Zweifel gekommen wären. Vielmehr freute sie sich jetzt schon auf jenen Tag, an dem sich das Schicksal, für das man sie erzogen hatte, vollziehen würde, an dem sie ihre Pflicht gegenüber ihrer Familie erfüllen würde, an dem alle voller Stolz auf sie blicken würden: den Tag ihrer Hochzeit. Hoffentlich würde es trotz allem eine Liebesheirat sein – im Grunde war sie ja ein romantisches Mädchen. Nicht ein einziges Mal kam ihr der Gedanke, dass Pflicht und Liebe sich womöglich in die Quere kommen konnten oder dass ihre Ahnungslosigkeit sie zur leichten Beute eines Schürzenjägers und Schurken aus den Reihen der feinen Gesellschaft machten. Sie war noch jung und unschuldig genug, zu glauben, dass trotz aller Hindernisse, die das Leben ihr möglicherweise in den Weg stellte, am Ende alles gut ausgehen würde.
Voller Zuversicht und Vorfreude auf die glücklichen Zeiten, die ihr bevorstanden, sauste Caro also am achten April frühmorgens die Treppen ihres Elternhauses hinunter. Sie war bereit, den ersten Tag ihres restlichen Lebens in Angriff zu nehmen. Der Tag, auf den sie sich praktisch die gesamten achtzehn vorausgehenden Jahre vorbereitet hatte.
»Ich kann es gar nicht glauben – endlich ist es so weit!« Sie riss die Arme hoch, als sie endlich die Eingangshalle erreicht hatte, und drehte eine Pirouette. Dafür handelte sie sich einen vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter ein, die in einer Ecke saß, die Füße auf einen Schemel gelegt, mit leidvoller Miene.
»Junge Damen drehen keine Pirouetten, Caro.«
»Tut mir leid, Mutter, aber ich bin so aufgeregt!«
»Junge Damen sollten niemals ihre Aufregung zeigen.«
»Schon gar nicht um so eine Tageszeit.« Ihre Cousine Essie kam sehr viel langsamer die Treppe herunter. »Ich verstehe nicht, warum wir schon so früh aufbrechen müssen. Praktisch mitten in der Nacht.«
»Es ist sechs Uhr.«
»Eben.«
»Aber die Sonne geht schon bald auf.« Carol warf sich ein knöchellanges Wollcape über die Schultern und ließ ihre langen bernsteinblonden Zöpfe unter einer blauen Samtmütze verschwinden. »Ich bin sowieso viel zu aufgeregt, um noch eine Minute länger zu schlafen.«
»Oje, du hast ja Debütantinnenfieber.« Ein garstig klingendes Schnappgeräusch erklang, als Essie ein Paar Handschuhe überzog.
»Wo wir doch nach London fahren, zur Ballsais